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Allgemein

Der Core-Story-Canvas: 
In fünf Stunden zur eigenen Brand-Story.

By 11. September 20173 Comments

Als Valentin Heyde und ich vor vier Jahren einen Markenworkshop vorbereitet haben, ist der Core-Story-Canvas entstanden. Ein Tool, das es leichter macht, die Kerngeschichte einer Marke zu verstehen, zu konstruieren und zu steuern.

Seit dem hat mir dieses Werkzeug wertvolle Dienste erwiesen. In kurzen Sprints von fünf Stunden hat es Startups geholfen, die Story ihres Unternehmens besser zu verstehen und klarer zu kommunizieren. Es hat etablierten Marken geholfen langfristiger über Markenauftritt, Creatives und Kampagnen zu entscheiden. Und als ‘Head of Story’ bei Jimdo hat mir der Core-Story-Canvas zwei Jahre lang geholfen, die Marke inhaltlich aufzubauen und zu steuern.

Ich wollte schon lange einen Blog-Post über den Canvas und seine Anwendung verfassen. Jetzt ist es soweit. In diesem Beitrag erzähle ich euch die Hintergrundgeschichte des Core-Story-Canvas. Und gebe euch ein Tutorial an die Hand, mit dem ihr selber einen Core-Story-Canvas Sprint durchführen könnt. Um in fünf Stunden die Zutaten der eigenen Markenstory zu entdecken. (Lesezeit: 40min)

Die Geschichte hinter dem Core-Story-Canvas.

Hintergründe interessieren mich nicht.
Ich will sofort zum Core-Story-Canvas Tutorial!

Ein wenig Druck. Und ganz viele Daten. Daraus ist der Canvas geboren.

Mit kleinen Erleuchtungen ist es wie mit Diamanten. Sie brauchen ordentlich Druck, um zu entstehen. Im Herbst 2013 standen Valentin Heyde und ich mächtig unter Druck. Der junge, couragierte Brand-Manager einer Kosmetik-Marke hatte uns gebucht. Quasi über Nacht sollten wir einen Workshop für ihn und den Chef seiner Agentur vorbereiten, um die verloren gegangene Geschichte der Marke wiederzufinden. ??Die Marke war in die Jahre gekommen. Der Markenauftritt hatte an Schärfe verloren. Die Marktanteile waren gesunken. Sowohl innerhalb des Unternehmens als auch innerhalb der Agentur gab es zu viele unterschiedliche Vorstellungen, wofür die Marke eigentlich steht.

„Keiner weiß mehr so genau, welche Geschichte die Marke erzählt. Warum es uns gibt“, hatte uns der Brand Manager gebrieft. Für ein anstehendes internationales Meeting brauchte er Antworten. Und wir brauchten eine Methode, um die Geschichte der Marke – dieses wabernde Bedeutung gebende Etwas – im Workshop greifbar zu machen. Um ein Alignment zwischen dem Brand Manager und dem Geschäftsführer der beteiligten Agentur herzustellen. Um eine gemeinsame Position für das internationale Meeting zu finden.

Zur Vorbereitung hatten wir einen USB-Stick mit Präsentationen bekommen. Und je tiefer wir in die Folien eintauchten, desto mehr kamen auch wir zu dem Schluss: Es gab keinen Grundkonsens mehr über die Ausrichtung der Marke. Nur noch Meinungen. Meinungen, die alle von Marktforschungsdaten unterstützt wurden. Wir begannen uns im Dschungel der Informationen zu verirren. Und wir ahnten, dass es allen so ging, die mit der Marke arbeiteten. Wir mussten einen Schritt zurücktreten. Im Workshop die Möglichkeit schaffen, die Meta-Perspektive einzunehmen, den Dschungel von oben zu sehen.

Als erstes beschlossen wir für den Workshop die Objektebene der Produkte von ihrer Bedeutungsebene zu trennen. Im Alltag ist schnell vergessen, dass die Bedeutung eines Objekts eine kommunikative Konstruktion ist. Jeder Thron ist als Objekt betrachtet erst mal einfach nur ein Stuhl. Vielleicht ein besonders auffällig gestalteter Stuhl. Aber erst die Geschichten über den Thron, die gesellschaftliche Absprache, dass dort nur der König sitzen darf, gibt dem Thron seine Bedeutung. Macht den Thron zu einem Zeichen von Macht. Genauso ist es mit Produkten und Marken. (1)

Also haben wir alle Objekt-Informationen über das Produkt ausgedruckt und auf die linke Seite des Schreibtischs sortiert: Was ist das Produkt. Wer kauft es. Wer ist die Konkurrenz? Durch welche Features unterscheidet es sich von der Konkurrenz? Alle diese Informationen beschreiben die Objekt-Ebene des Produkts. Es sind Informationen, die auch die Konkurrenz leicht erheben könnte. Und die Features, die sich (meist) leicht kopieren lassen.

Anschließend sammelten wir alle Daten zusammen, aus denen sich die Bedeutung der Marke konstruiert: Die Werbung der vergangenen Jahre. Die Historie des Unternehmens. Die PR-Arbeit genauso wie die Kommentare von Nutzern in Online-Foren. Die Geschichten, die wir fanden, waren sehr unterschiedlich, fragmentarisch – ohne ein verbindendes Element. Ein weiteres klares Indiz, dass es kein geteiltes Verständnis der Bedeutungsebene gab. Aber wenn dem Unternehmen nicht klar ist, welche Geschichte die Marke hat – wieso sollte es Konsumenten dann klar sein?

So weit so gut. Aber wie sollten wir nun ein geteiltes Verständnis der Marke schaffen. Wir scheuten uns davor, zwei gestandene Marketeers durch eines der vielen bekannten Markenmodelle zu scheuchen. Zudem hatten wir in den Unterlagen mehr als ein Markenmodell gefunden. Pyramiden. Kreise. Säulen. Alle tadellos ausgefüllt. Und trotzdem hatten sie nicht zu mehr Klarheit geführt. Wir diskutierten warum. Und soweit ich mich erinnern kann, sah unser Gedankengang in etwa aus:

Die Bedeutung einer Marke besteht im Kern aus Geschichten. Sie besteht aus den Geschichten, die das Marketing erzählt. Und den Geschichten, die sich Konsumenten über die Marke erzählen. Es ist im Interesse jeder Marke langfristig am Besten – über Kampagnen hinweg – eine konsistente Geschichte zu erzählen. Warum? Weil Konsistenz hilft, dass sich Menschen die Marke besser merken können. Stell dir vor, jemand kommt jeden Tag ins Büro und sieht nicht nur jeden Tag anders aus. Sondern erzählt auch jeden Tag eine andere, neue Geschichte über sich. Eine Geschichte, die mit dem gestern erzählten bricht. Immer wieder. Wie schwer wäre es, sich diese Person zu merken und vor allem: Vertrauen zu ihr aufzubauen.

Geschichten haben Strukturen

Wenn also eine Marke eine Geschichte ist, warum analysieren und betrachten wir sie nicht mit den Bausteinen und dem Handwerkszeug einer Geschichte und ihrer Erzählung? Denn Geschichten haben Strukturen. Warum fragen wir dann nicht nach Helden, Konflikt, Lichtschwertern – sondern nach „USPs“ und „Reasons to Believe“. Wir nahmen ein Blatt Papier und zeichneten eine Reihe von Feldern darauf.

Wir übertrugen die Felder auf ein langes Stück Brown-Paper, klebten die gegebenen Informationen in jedes Feld . Am folgenden Workshop-Tag diskutierten wir jedes Feld durch, bis es eine erfolgreiche Einigung zwischen Brand-Manager und Agentur Geschäftsführer gab. Wir haben nie erfahren, welchen

Die Urversion des Canvas

Verlauf das internationale Meeting genommen hat. Aber aus diesem Workshop ist die erste Version des Core-Story-Canvas hervorgegangen. Ein Tool, das es einfacher macht, die Kerngeschichte einer Marke zu verstehen, zu konstruieren und zu steuern. Schon über die erste Version hat damals die Zeitschrift Page berichtet. Seitdem habe ich das Tool und den Workshop zur Anwendung immer wieder überarbeitet.

Der Core-Story-Canvas hat sich bewiesen.

Beides hat sich bewiesen. In Workshops hat das Werkzeug Startup-Gründern geholfen, die Geschichte ihres Unternehmens zu begreifen und anschließend klarer und bewegender zu kommunizieren. Es hat Technologie-Unternehmen geholfen, die Bedeutung von Innovations-Projekten zu verstehen und sie intern besser zu verkaufen.

Darüber hinaus hat es mir unendlich wertvolle Dienste erwiesen, schnell die Markengeschichten von Kunden zu dekonstruieren und zu verstehen. Und in der Verantwortung als “Head of Story” bei Jimdo hat mir der Core-Story-Canvas geholfen, die Marke inhaltlich konsistent aufzubauen und zu steuern. Ob bei der Entwicklung von Werbemitteln und Inhalten, der Planung von Kampagnen oder bei Design-Entscheidungen habe ich den mit den Gründern ausgefüllten Canvas als Kompass genutzt.

Neben dem Core-Story-Canvas gibt es viele andere Tools und Abläufe, um sich der Bedeutungs-Essenz der eigenen Marke zu nähern. Der Brand-Sprint von Google Ventures war eine echte Inspiration, endlich diesen Post zu schreiben. Am Ende sind alle diese Techniken unterschiedlicher Zuckerguss auf dem gleichen Kuchen. Sie versuchen zu helfen, die Geschichte im Kern einer Marke, eines Produktes, eines Unternehmens besser zu verstehen. Sie helfen den ungreifbaren Wert (intangible value) etwas greifbarer zu machen, um die Markenwahrnehmung besser zu steuern. Egal zu welchem Modell oder Tool man am Ende greift. Es ist immer wie eine Karte zu zeichnen. Eine Karte ist dann gut, wenn sie Orientierung und Richtungsentscheidungen erleichtert. Aber jede Karte ist nur eine abstrahierte Darstellung. Es ist nicht die Marke, die man aufzeichnet. Sondern nur eine Landkarte der Bedeutung. Ich finde das befreiend. Die perfekte Landkarte gibt es nicht, aber man kann die Landkarte immer weiter perfektionieren.
Und der Core-Story-Sprint kann genau dabei helfen. Also worauf warten wir. Los geht’s.

Der Core-Story-Canvas Sprint. Ein Tutorial.

Setup

Fünf Stunden Zeit. Ein Raum mit viel frischer Luft. Genügend Wasser und Snacks. Eine Wand. Einen Tisch. Post-its. Stifte. Masking-Tape. Mehr Vorbereitung braucht es nicht. ??Aus meiner Erfahrung heraus funktioniert ein Core-Story Sprint am Besten mit Gruppen von maximal fünf Personen. Die Teilnehmer müssen keinen Marketing-Hintergrund mitbringen. Gerade Teilnehmer aus anderen Unternehmensbereichen bringen oft neue Impulse in die Diskussion ein. Wichtig ist im Vorfeld deutlich zu klären, wer der Product-Owner der Core-Story ist. Wer ist der Entscheider, der für die Markenstory am Ende verantwortlich ist. Oder zumindest im Zweifel im Workshop das letzte Wort hat.

Als Arbeitsmethode hat sich Note, Vote, Decide bewährt. Das bedeutet: Ideen und Vorschläge werden zunächst von jedem Teilnehmer still auf Post-its geschrieben und dann vorgestellt. Anschließend wählt die Gruppe ihren Favoriten. Im letzten Schritt entscheidet der Product-Owner, ob er das Ergebnis der Gruppe annimmt. Wenn er eine andere Entscheidung trifft, dann muss er seine Entscheidung vor der Gruppe begründen.

Tool & Ablauf

Das Tool

Der Core-Story-Canvas besteht aus zwei Bereichen und zehn Feldern. Die linke Seite beschreibt die Objekt-Ebene. Die Felder der rechten Seite beschreiben die essentiellen Zutaten der Story, die mit dem Objekt verknüpft werden soll, um dem Objekt Bedeutung zu geben. Ich werde die Felder unten genauer beschreiben. Am einfachsten ist es, einen Canvas mit Masking-Tape auf eine Oberfläche zu kleben.

[ Du kannst dir den Core-Story-Canvas hier als pdf-Template runterladen]

Der Ablauf des Sprints ist ganz einfach: Die Gruppe arbeitet zuerst die Felder der linken Seite ab. Danach die Felder der rechten Seiten. Für jedes Feld der linken Seiten stehen 20min Arbeitszeit zur Verfügung plus weitere 20 Minuten, um die linke Seite zusammenzufassen. Für jedes Feld der rechten Seite habt ihr 25min Zeit. Auch weil man eine Sekunde braucht, sich in die meist ungewohnte Storytelling-Terminologie einzudenken. Plus weitere 25 um die rechte Seite zusammenzufassen.  Das macht zusammen 250 Minuten. Die Verbleibenden 50 Minuten sind für eine offene Abschluss-Diskussion reserviert. Der Arbeitsprozess kann deutlich beschleunigt werden, wenn der Product-Owner bereits Felder zur Entscheidung vorbereitet. Das birgt allerdings immer die Gefahr, neue Betrachtungen schon im Vorfeld auszuschließen.  Zu jedem Feld schreiben die Teilnehmer ihre Ideen auf Post-its auf und kleben sie in das Feld. Nach einer kurzen Diskussion wählt das Team eine Sieger-Idee. Gibt es innerhalb der Arbeitszeit keine Einigung, entscheidet der Product-Owner, welche Idee in dem Feld stehen bleibt.

Schauen wir uns jetzt die Felder im Detail an.
Zur Illustration habe ich jedes Feld in den Fotos mit (meiner Interpretation) der Marke Axe ausgefüllt.

1. Objekt-Ebene

Feld 1: WAS

Wir starten links mit dem ersten Feld der Objekt-Ebene und der eigentlich einfachen Frage: „Was ist es?“

So einfach die Frage ist, so schwierig ist die Antwort manchmal.
Was verkauft/produziert die Marke? ??Ist es ein Produkt, eine Kategorie von Produkten oder eine Dienstleistung? Ein Unternehmen? Eine Idee? Eine Technologie?

Was ist das Objekt, dessen Bedeutung durch die Brand-Story verändert werden soll? Versucht es mit den einfachsten Worten auszudrücken. Wie würde es Mr. Spock beschreiben, wenn er es zum ersten Mal in den Händen hält. Ganz kalt und rational. Das ist wichtig: Wenn der Erfinder eines Objekts nicht einmal klar sagen kann, was es ist, wie kann er von der Außenwelt oder gar einem potentiellen Käufer erwarten, dass er es versteht.

Oft steht die Begeisterung für das eigene Objekte/Produkt einer klaren Antwort im Weg. Niemand will ein tolles Produkt in eine schnöde Kategorie stecken lassen. Deshalb höre ich in Workshops bei dieser Frage oft Formulierungen, die so klingen: ?„Das erste XXXX der Welt“, „Die einfachste Art, um XXXX“, „Die leckerste XXXX“. Für dieses Feld gilt: Streich die Adjektive.

Erst der schonungslos, ehrliche Blick auf die Dinge, hilft die eigene Wahrnehmungsblase zu verlassen und sich daran zu erinnern: Das Produkt ist in den Augen der Außenwelt vielleicht nicht so wichtig ist, wie es für alle ist, die daran arbeiten. Ist das schlimm? Nein. Nur mehr Grund sich anzustrengen, um es besonders zu machen.

Feld 2: FÜR

Die zweite Frage ist der Marketing-Klassiker überhaupt: ?Für wen ist das Objekt, das die Marke produziert oder verkauft? ?Wer ist die Zielgruppe, die du dir für das Objekt vorstellst. Die Zielgruppe an die sich deine Kommunikation richten soll?

Ich sage bewusst vorstellen. Denn die Vorstellung, wer ein Produkt nutzt und die Realität der Nutzung sehen oft anders aus. Cola Light wird nicht nur von Frauen getrunken. Snickers nicht nur von Hungrigen gegessen. Nike wird nicht nur von Sportlern getragen. Byron Sharp zeigt in How Brands Grow, dass die Segmentierungen für die meisten Konsumprodukte real nicht existieren. Trotzdem ist eine Zielgruppe wichtig, um den kommunikativen Fokus zu behalten. Zum einen gibt die Zielgruppe der Kreation und der Media-Planung einen Anker. Zum anderen hilft eine klare Zielgruppe dem Publikum, das Produkt mental leichter einzuordnen und zu speichern. Ich weiß, dass sich ein Gameboy an Kinder richtet. Ich darf ihn trotzdem benutzen.

Feld 3: IN KONKURRENZ ZU

Noch ein Marketing-Klassiker. In einer Konsum- und Mediengesellschaft konkurriert jedes Objekt mit allen anderen. Dabei gibt es immer zwei Konkurrenz-Felder: Das Objekt konkurriert innerhalb der Kategorie mit allen Alternativen, für die sich jemand stattdessen entscheiden kann. Auf der kommunikativen Ebene konkurriert das Objekt hingegen mit allen anderen Geschichten auf der Welt um das hohe Gut Aufmerksamkeit. Wichtig in diesem Feld: Sammele die Konkurrenten aus dem Blickwinkel des Publikums. Nicht aus deiner Sicht.
Wen würde deine Zielgruppe als Konkurrenz wahrnehmen?

Feld 4: ANDERS WEIL

Mit Blick auf die Konkurrenz: Wie unterscheidet sich das Objekt von denen der Konkurrenz? Konzentriert euch nur auf Merkmale, die erfahrbar und messbar sind. Ist es das Design, die Herstellung, die Anwendung? Wenn ihr hier Adjektive benutzt, wie leichter, einfacher oder besser, dann begründet sie mit einem klaren Fakt. Es ist leichter, weil…!

Menschen brauchen greifbare Merkmale, um ein Objekt von einem anderen zu unterscheiden zu können. Je distinkter die Unterscheidung ist, desto leichter kann ich mir ein Objekt merken. Aber Unterscheidungsmerkmale im Objekt geben einer Marke nur kurzfristig Bedeutung. Denn jedes innovative Feature lässt sich von der Konkurrenz kopieren. ?Dass ein Ford SMS vorlesen kann, überzeugt sicherlich keinen zum Kauf. Aber das Merkmal hilft kurzfristig, Ford-Autos von anderen zu unterscheiden und sie sich besser zu merken.

Objekt-Ebene zusammenfassen.

So, alle Felder der Objekt-Ebene sind ausgefüllt. Großartig. Dann habt ihr nach 80 Minuten alles zusammen, um die Objekt-Ebene mit einem Satz wie diesen zu beschreiben:

AXE bietet Pflegeprodukte für junge Männer und unterscheidet sich von Nivea Men, Dove Men, Adidas durch herbe Düfte, schwarze Verpackungen und provokantes Marketing.

Im besten Fall klingt dieser Satz nüchtern und etwas dröge. Und das muss so sein, denn die Objekt-Ebene trägt keine Emotionen. Ein Objekt hat keine Bedeutung in sich. Die Bedeutung wird erst durch die Geschichten bestimmt, die mit dem Objekt verknüpft sind. Also Ärmel hochgekrempelt und auf die Story-Ebene wechseln, um die Geschichte zu finden, die dem Objekt die besondere Bedeutung verleiht (bzw. verleihen soll). Jeder schreibt einen Satz auf ein Post-It. Nach kurzer Diskussion, entscheidet ihr euch für einen.

2. Story-Ebene

Die Story-Ebene hat sechs Felder. Wir starten oben links und arbeiten uns wie in einem Comic von Links oben nach Rechts unten durch. Jedes Feld beschäftigt sich mit einer Grundzutat des Storytelling. Mit diesen Essenzen lassen sich am Ende unendlich viele Geschichten erzählen, die alle auf den gleichen Markenkern einzahlen. Stell es dir ein wenig so vor, wie bei Star Wars. Es gibt Kinofilme, Computerspiele, Bücher und Comics. Und alle nutzen die gleichen Grundzutaten: Jedi-Ritter, die Macht, den Weltraum.

Feld 1: THEMA

“Theme […] is what makes your story universal and thus emotionally significant”
Karl Inglesias in ‚Writing for the emotional impact

„Worum geht es wirklich? In einem Wort“ – Wenn du diese Frage beantworten kannst, dann hast du das Thema deiner Markenstory gefunden. Fahrfreude (BMW). Das Beste (MERCEDES BENZ). Die Zukunft (IBM). Athletik (NIKE).

Das Thema erfüllt eine Doppelfunktion. Zum einen hilft es dem Erzähler, sich zu fokussieren. Alles, was nicht zum Thema gehört, braucht nicht erzählt zu werden.
Die andere Funktion ist allerdings wichtiger: Ein klares Thema erleichtert es dem Publikum, die Geschichte einzuordnen, zu verstehen und im Kopf zu behalten. Ein klar erkennbares Thema signalisiert dem Publikum, in welche „Gehirn-Schublade“ die Geschichte gehört. Nur wer eine Geschichte richtig einordnen kann, kann die Relevanz der Geschichte beurteilen. Und das eigene Wissen zur Interpretation der Geschichte heranziehen. Deshalb sind die stärksten Themen, die Themen, mit denen wir uns jeden Tag beschäftigen: Liebe, Hass, Freiheit, Macht, Freunde, Sex. Je emotionaler die Themen, desto relevanter.

Feld 2: KONFLIKT

“Nothing moves forward in a story except through conflict”
Robert McKee in STORY

Jede Geschichte zieht ihre Spannung aus einem zentralen Konflikt. Wer besteigt den Eisernen Thron? Wie geht der Kampf zwischen der hellen und der dunklen Seite der Macht aus? Können Männer und Frauen Freunde sein?

Jede Geschichte verhandelt einen Konflikt. Und es ist spannend zu sehen, wie der Konflikt gelöst wird. ??Was also ist der Konflikt, um den sich deine Markengeschichte dreht. ??Schaut zuerst auf das Thema. Welche Konflikte sind mit diesem Thema verbunden? Ich habe festgestellt, dass es einfacher ist, in einem ersten Schritt Konflikte mit Gegensatzpaaren zu sammeln: ?„Gut vs. Böse“ (Breaking Bad), „Kontrolle vs. Loslassen“ (Findet Nemo), „Begehrt werden vs. Zurückweisung“ (Axe), „Kreativität vs. Konformität“ (Apple).
Die Liste der Konflikte lässt sich dann sortieren: ?Welcher der Konflikte ist emotional am interessantesten? ?Welchen Konflikt kann dein Produkt lösen? ?Zu welchem Konflikt hat die Marke eine klare Haltung?

Und hier noch eine Warnung: Dieses Feld ist meist das Schwierigste. Wahrscheinlich, weil Menschen nicht gerne über Konflikte nachdenken. Es ist aber auch das wichtigste. Denn nur ein starker Konflikt macht eine Geschichte auf Dauer anziehend. Denn ?auf einer tiefen unterbewussten Ebene ist jede Geschichte ein Bericht über eine Konfliktlösung. Darin liegt der Ursprung des Storytelling. Am Lagerfeuer erzählten sich die Menschen Geschichten, um aus ihnen zu lernen, wie andere lebensgefähliche Konflikte gelöst haben.

Feld 3: PRÄMISSE

“One clear sentence that expresses a story’s irreducible meaning. […] The more beautiful you shape your work around one clear idea, the more meaning audiences will discover […] as they take your idea and follow its implications into every aspect of their lives. Conversely, the more ideas you pack into a story, the more they implode upon themselves, until the story collapses into a rubble of tangential notions, saying nothing”
Robert McKee in STORY

Und die Moral von der G’schicht… Jeder Erzähler trifft mit einer Geschichte eine Aussage über die Welt. Der Ausgang der Geschichte beinhaltet immer eine Weltsicht. Eine Haltung. Gewinnt das Gute. Bleibt der gebrochene Held in Verzweiflung zurück. Ist das Leben eine Komödie oder eine Tragödie. Das Ende der Story zeigt, wie der Erzähler die Welt sieht. Bewusst oder Unbewusst.

Die bewusste Haltung eines Erzählers bezeichne ich als Prämisse. Es ist die eine Aussage über die Welt, die der Erzähler treffen möchte. Damit unterscheidet sich die Prämisse auch von einer Produktbotschaft. Im Gegensatz zur Produktbotschaft ist eine Prämisse ein universeller Glaubenssatz, darüber wie da Leben funktionieren sollte: „Männer und Frauen können keine Freunde sein“ (Harry und Sally) . „Du musst lernen, deine Kinder loszulassen“ (Findet Nemo), “Es gibt mehr im Leben als Gewinnen” (Cars) “Du kann nicht immer gewinnen” (Anwalt des Teufels) . Auch die Prämisse von Snickers „Du bist nicht du selbst, wenn du Hungrig ist“ ist eine Aussage über die Welt – nicht über ein Schokoriegel.

Die Prämisse definiert die Haltung deiner Marke zu dem eben entschiedenen Konflikt. Auf welcher Seite des Konflikts steht die Marke? Ist sie für die eine oder die andere Seite? Oder schafft sie es, die beiden Pole zusammenzubringen?

Und hier kommt die Challenge: Definiert verschiedene Prämissen in maximal sechs Worten. ??Gar nicht so einfach. Stimmt. Als Hilfestellung könnt ihr euch folgendes vorstellen: Stell dir die Marke als einen achtzigjährigen Mann vor, der unter einem Baum sitzt. Neben dir sitzt dein Enkel. Er berichtet dir von dem Konflikt und bittet dich um Rat. Was ist der eine weise Satz, den du ihm mitgeben würdest. Was willst du mit deiner Story sagen.

Feld 4: PROTAGONIST

“Without characters there is no story. What we care about is not what is happening, but to whom it is happening.”
Karl Inglesias in ‚Writing for the emotional impact

Wer ist das Gesicht deiner Geschichte? Wer ist der Held? Der Protagonist, dessen Handeln die Geschichte vorantreibt. Der Charakter, an dessen Beispiel das Publikum die Geschichte erlebt. ?Der Charakter, der immer wieder auftaucht. Der fest mit deiner Marke verbunden ist.

Wer ist das bleibende Gesicht der Marke? An welche Person soll man denken, wenn man an deine Marke denkt? Mit wem kann dein Publikum am leichtesten mitfühlen? Das ist dein Protagonist.

Maurice von Paulibird für Jimdo. Die Ratiopharm-Zwillinge. Die Normalos aus der Axe-Werbung. Steve Jobs. Protagonisten können echte Menschen sein, eine fiktive Person, ein Tier, ein Cartoon-Character, eine Gruppe von Menschen, oder Archetyp wie bei Axe. Sogar ein Objekt.
Letzteres ist allerdings schwieriger. Immer wieder ist in Workshops die Frage aufgetaucht, ob auch ein Produkt der Held einer Geschichte sein kann. Die Antwort ist Jein.

Aus erzählerischer Sicht kann ein Produkt nur dann Protagonist sein, wenn es handeln kann. ?Und Handeln kann es nur, wenn es eine Seele hat. Wenn das Produkt animiert ist. ??Wer kann sich noch an Herbie erinnern? Den VW Käfer aus den Disney Filmen. Wir können in diesen alten Filmen ein Produkt als Charakter erleben, weil die Autoren ihm eine Seele gegeben haben. Herbie kann in den Filmen eigenständig handeln. Dafür gibt es in meiner Wahrnehmung nur wenige Beispiele in der Werbung. Kinder hat Milch und Schokolade zum Leben erweckt, um sie zum Helden zu machen.

Mit der Theorie zur Konstruktion von Charakteren für Geschichten kann man ganze Regale füllen. Für den Canvas reicht es einen Protagonisten zu definieren. Die Details seines Charakters (ist der mutig oder schüchtern, groß oder klein etc) lassen sich später festlegen.

Ach ja, und was ist mit dem berühmten Antagonisten. Dem Gegenspieler? Der ist wichtig. Aber an dieser Stelle nicht so wichtig. Aus zwei Gründen. Zum einen ist der Antagonist oft nur das Charakter-Gegenteil des Protagonisten. Die ultimative Steigerung der Charakterschwächen des Protagonisten. Zu jedem weißen Ritter gibt es einen schwarzen Ritter. ?Zum anderen sucht der Core-Story-Canvas nach den Elementen, aus denen sich möglichst viele unterschiedliche Geschichten ableiten lassen. Und wie bei James Bond kann der gleiche Protagonist auf viele unterschiedliche Antagonisten treffen.

Feld 5: CALL TO ADVENTURE (Ruf ins Abenteuer)

“ The hero is presented with a problem, challenge, or adventure to undertake. Once presented with a Call to Adventure, he/she can no longer remain indefinetely in the comfort of the Ordinary World. The Call to Adventure establishes the stakes of the game, and makes clear the hero’s goal: to win the treasure or the lover, to get revenge or right a wrong, to achieve a dream, confront a challenge, or change a life.”
Christopher Vogler in The Writer’s Journey

Jetzt haben wir einen Protagonisten. Damit eine Geschichte ins Rollen kommt braucht er ein Ziel. Eine Mission: Rette die Prinzessin! Töte den Drachen! Finde das goldene Vlies! Gewinne das Mädchen!

Am Anfang einer Geschichte steht der „Ruf ins Abenteuer“ oder “Call to Adventure”. Es ist die Einladung des Helden auf seine Mission. Oft windet sich der Held. Lehnt den Ruf erstmal ab. Aber letztlich folgt er dem Ruf und betritt eine neue Welt. Und je gefährlicher das Abenteuer ist, auf das er sich einlässt, desto mehr Spaß macht es dem Publikum der Story zu folgen.

Irgendwann ist mir aufgefallen, dass einige Markenclaims einem Call to Adventure gleichen: Just do it (Nike). Open Happiness (Coca Cola). Freude am Fahren (BMW). Mach was Eigenes (Jimdo). Diese Claims unterscheiden sie sich von deskriptiven Claims, die Produktattribute beschreiben: “Quadratisch. Praktisch. Gut.” Oder von Claims, die eine Prämisse formulieren. „Das Beste oder nichts“ (Mercedes Benz), “Geiz ist Geil” (Saturn). Welche Art Markenclaim besser funktioniert, wage ich nicht zu beurteilen. Und darum geht es an dieser Stelle auch nicht. Denn egal welchen Claim deine Marke im Gedächtnis verankern will: Der Call to Adventure bleibt für die Markengeschichte trotzdem wichtig. Ohne den Ruf gibt es kein Abenteuer. Kein Erlebnis-Versprechen. Keinen Schritt ins Unbekannte. Und die Markengeschichte bleibt statisch.

Also hier die Aufgabe: Formuliere in maximal drei Wörtern mindestens fünf unterschiedliche „Call to Adventure“, dem der Held folgen muss. Und entscheide dich nicht für irgendeinen. Entscheide dich für das größte und gefährlichste Abenteuer.

Feld 6: TROUBLES & LIGHTSABERS

“Sombody wants something and has troubles getting it. Bottom line, if your story doesn’t fit these criteria, it can’t be called a dramatic story. This is where drama comes from – conflict, struggle against difficult obstacles.”
Karl Inglesias in ‚Writing for the emotional impact

Vor fast zehn Jahren habe ich die Drehbuch-Schule Hamburg besucht. In einem der Seminare fragte uns Drehbuch-Autor Wolfgang Kirchner: „Was ist das Schlimmste, was eurem Protagonisten passieren kann. Mach es immer noch schlimmer!“

Ein Held, der sein Ziel ohne Widerstände erreicht, ist sicherlich glücklich. Die Geschichte wird aber reichlich langweilig. Erst die Widerstände, die ein Protagonist überwinden muss, machen eine Geschichte spannend und emotional verständlich. Selbst wenn das Publikum nicht das gleiche Ziel verfolgt und nicht die gleichen Widerstände erlebt hat, kann es mit dem Protagonisten mitfühlen. Und wenn man mal darauf achtet, ist jede Geschichte eine Katastrophenfahrt für den Protagonisten. Und je größer die Katastrophe, desto größer die Spannung und das Mitgefühl. Deshalb heißt es bei Pixar zum Umgang mit Helden: „Throw rocks at them“.

Aber was hat das mit der Kerngeschichte deiner Marke zu tun, fragst du sicher jetzt. Gib mir noch einen kurzen Moment, das zu erklären. In den allermeisten Geschichten muss der Protagonist die Hindernisse nicht alleine überwinden: Entweder hat er einen Mentor und/oder ein Team, die ihn unterstützen. Harry Potter hat Dumbledore und seine Freunde. Luke Skywalker hat Obi Wahn und Han Solo, R2D2, C3PO und Leia und Chewbacca. Oder es gibt einen magischen Gegenstand, der dem Protagonisten besondere Kräfte verleiht. König Arthur bekommt Excalibur. Harry Potter bekommt einen Zauberstab und einen Mantel, der Unsichtbar macht. Luke Skywalker bekommt ein Lichtschwert.

Die gleiche Struktur können wir für die Kerngeschichte einer Marke nutzen. Allerdings wird hier das Produkt zum Lichtschwert. Die Marke zum Mentoren und die Menschen dahinter zum Team. Der vom Hunger verfluchte, bekommt ein magisches Snickers, um wieder er selbst zu sein. Der unsichere Junge, bekommt das magische AXE-DEO, um Frauen zu erobern.

Hier also die vorletzte Aufgabe: Sammelt alle Hindernisse, die eurem Protagonisten auf seinem Abenteuer im Weg stehen. Dann sortiert sie nach ihrer Dramatik und Gefährlichkeit. Wo steht für den Helden am Meisten auf dem Spiel. Bei welchem Hindernis wird es brenzlich, wenn er es nicht überwindet. Viel Spaß beim Steine werfen. Dann geht die Hindernisse einzeln durch. Welche Hindernisse könnt ihr durch euer Produkt oder Unternehmenshandeln kleiner machen. Bei welchen Hindernissen ist es euch möglich, den Protagonisten über die Hürde zu heben? Das sind die Hindernisse, über die die Marke erzählen sollte.

Story-Ebene zusammenfassen

Jetzt sind alle Felder der Story-Ebene ausgefüllt. Das war ein ganzes Stück Arbeit. Und jetzt ist ein letztes Mal geballte Kreativität gefragt. Nehmt euch ein Post-it und versucht aus dem Inhalt der Felder einen kurzen Absatz zu formen. So schnell wie möglich – in maximal 20 Minuten. Teilt die Sätze und entscheidet euch für einen Leitsatz, der die Eckpfeiler der Markenstory zusammenfasst. So wie diesen hier zum Beispiel:

„Wenn es um Sex (THEMA) geht, wünscht sich jeder Mann begehrt zu werden und riskiert bei jeder Annäherung an eine Frau Zurückweisung (KONFLIKT). Das schüchtert Viele ein (HINDERNIS). Aber wir glauben, dass „Jeder begehrlich ist“ (Prämisse). Deshalb rufen wir allen Normalos (PROTAGONIST) zu: Get the girl (CALL TO ADVENTURE). Und schenken ihn Selbstvertrauen mit unseren Pflegeprodukten, die wie ein Zaubertrank, mit dem Axe-Effekt Mut machen (LICHTSCHWERT).”

Canvas DONE! Und nun?

So, ihr habt euch fünf Stunden Zeit genommen und den Canvas ausgefüllt. Herzlichen Glückwunsch! Und danke für euer Vertrauen in den Prozess. Aber was nun?
Was bringen all die Post-its an der Wand? Wie damit weiter arbeiten?
Gute Fragen. Und bevor ich sie beantworte, möchte ich euch bitten, ein Stück von dem Canvas zurück zu treten. Und euch ein drei abschließende Fragen zu stellen:

  1. Stimmt das, was auf den Post-its steht? Oder muss noch etwas geändert werden. Bei allen Geschichten geht es am Ende um Emotionen. Also ist die wichtigste Frage hier: Fühlt sich das Ergebnis richtig an. Treffen die Worte auf den Post-Its den Kern der Marke? Oder gibt es Unsicherheiten, die Nacharbeit benötigen. Wie gesagt, der Canvas ist wie eine Landkarte. Ihr könnt später immer wieder zum Canvas zurück – und die Karte genauer machen.

  2. Hat der Core-Story-Sprint euch als Gruppe unterstützt, ein klares, gemeinsames Bild der Marke zu entwickeln? Und der Geschichte, die die Marke erzählt. Wenn ja, dann hat der Core-Story-Sprint bereits seine wichtigste Funktion erfüllt. Eine Gruppe die aligned ist, kann viel eindeutiger und klarer kommunizieren.

  3. Wie passt die bisherige Kommunikation zu dem, was ihr im Canvas aufgezeichnet habt? Welche Kommunikation, welche Werbemittel passen zur Geschichte? Wo gibt es Ungereimtheiten?

Der Core-Story-Canvas ist sowohl Landkarte als auch Zutatenliste für euer Storytelling. Die Essenzen aus der sich eure Markenstory zusammensetzt. Aus diesen Essenzen lassen sich unendlich viele Geschichten für Kampagnen, Creatives oder Events kochen. Und wenn die Essenzen in allen Werbemitteln vorhanden sind, wird das Publikum alle Kommunikationsakte  als Teile einer konsistente Geschichte erleben. Bei Jimdo habe ich mit dem Canvas alle Creatives inhaltlich geprüft. Wenn ich nicht mindestens die Hälfte der Essenzen entdecken konnte, passte das Werbemittel inhaltlich nicht zur Marke. Und selbst wenn es als Werbemittel kurzfristig funktioniert, würde es langfristig nicht auf eine konsistente Wahrnehmung einzahlen.

Gleichzeitig hilft die Klarheit über den narrativen Kern der Marke, einfacher neue Geschichten abzuleiten, zu konstruieren, zu schreiben, zu inszenieren und umzusetzen. Kreative, Designer, Redakteure und Manager, die abstrakte inhaltliche Entscheidungen über das Auftreten der Marke treffen müssen, bekommen einen geteilten Entscheidungsrahmen. Diskussionen über ein Creative werden nicht mehr darüber geführt, ob es gefällt oder nicht. Sondern ob sich die Essenzen der Marke darin finden – und es somit die Brand-Story weitererzählt. Allerdings und das ist mir wichtig zu betonen, ist die inhaltliche Betrachtung einer Marke genauso wichtig, wie die Betrachtung ihre medialen Präsenz. Die Fragen wo die Marke ihrer Zielgruppe begegnet ist ebenso wichtig wie ihr Inhalt. Wer Media-Fragen vernachlässigt, handelt wie der Autor, der seinen Jahrhundertroman im Schreibtisch versteckt. Jede Geschichte brauchte eine mediale Vermarktung. Und so braucht auch jede Marke in irgendeiner Form Media-Unterstützung. Doch davon ein andernmal.

Der nächste Schritt

Der Schritt nach dem Core-Story Canvas ist individuell unterschiedlich. Bei Jimdo haben wir auf Basis des Canvas festgestellt, dass der damalige Markenauftritt nicht mehr zur Brand-Story passte. Die nächsten Schritte waren daher zunächst den Core-Story-Canvas um ein Moodboard erweitert. Jedes Feld des Canvas haben wir mit visuellem Inspirations-Material gefüllt. Und daraus in mehreren Sprints eine distinkte Bildsprache entwickelt.

In einem anderen Projekt entschied sich das Innovations-Team eines Technologie Unternehmens, die Präsentation einer Produkt-Idee für die Geschäftsführung neu zu gestalten. Indem sie nicht mit dem „Was“ anfingen. Sondern erst einmal ein Thema und einen Konflikt inszenierten.
In einem anderen Workshop wurde dem Team durch die Arbeit an der Geschichte klar, dass die interne Abstimmung über mehrere Standorte nicht funktionierte. Und das Thema konnte angegangen werden.

Egal, wie der nächste Schritt nach dem Core-Story Canvas aussieht, eines ist dabei zu beachten: Der Core-Story Canvas ist nicht die Marke. Sondern eine inhaltliche Karte der Marke.
Und es führt schnell zu Verwirrung, jemandem die Karte kommentarlos zu zeigen, der nicht gelernt hat, sie zu lesen. So stolz man auf die Ergebnisse ist, ein Foto vom Core-Story Canvas ans Team zu schicken, ohne es im Detail zu erklären, wird zu Verwirrung führen. Genauso wie viele andere Markenmodell verwirren, wenn sie als kontextbefreite Pyramiden durch Präsentation geistern. Es ist ein wenig so, als wenn einem ein Barkeeper in einer Cocktailbar wortlos die Zutaten für einen Cocktail serviert und erwartet, man könne sich den Drink selber mixen.

Um die Markenstory denen, die nicht am Sprint beteiligt waren, zugänglich zu machen, kann man entweder den Canvas im Detail erklären. Oder viel besser: Die Essenzen selbst in eine lineare Geschichte bringen. Eine Geschichte, die erzählt, warum die Marke existiert. Für Kunden ist das die Übersetzung in Brand-Creatives. Für das Team, die Agenturen oder Investoren übersetzt sich der Core-Story Canvas in andere Formen von Geschichten. Eine dieser Formen ist die “Purpose-Story”. Sie eröffnet einen einfachen Weg, aus den Essenzen des Canvas eine Geschichte zu bauen, die emotional greifbar macht: Warum existiert das Unternehmen? Wie sieht es die Welt? Und wie will es die Welt verändern?  Wie diese Purpose-Story funktioniert und wie man sie schreibt. Davon handelt mein nächster Beitrag.

Letzte Worte

Mir hat der Core-Story-Canvas in den letzten Jahren enorm geholfen. Deshalb teile ich das Werkzeug mit euch.  In der Hoffnung, dass ihr es für euch nutzbar machen könnt. Ich freue mich über jedes Feedback in den Kommentaren, das hilft den Core-Story-Canvas und seine Anwendung noch einfacher zu machen. Was hat für euch funktioniert? Welche Diskussionen und Fragen hat der Core-Story-Canvas gelöst oder ausgelöst? Welche Kategorien fehlen euch? Oder welche Felder müssen überarbeitet bzw. genauer beschrieben werden?

 

Fussnoten:

(1) Die Beobachtung, dass die Bedeutung von Dingen, Praktiken, Produkten und Marken nicht natürlich ist, sondern mit Geschichten konstruiert wird, ist keine besonders Neue. Spannend dazu zu lesen sind: Die Mythen des Alltags von Roland Barthes, Representation von Stuart Hall oder neuer How Pleasure Works von Paul  Bloom.

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