Vor zwei Wochen habe ich für das Marketing-Team eines jungen Unternehmens einen Workshop geplant und geleitet. Das Ziel war, dem Team die Marketing-Planung für ihr neues Produkt zu erleichtern. Bereits einige Wochen zuvor hatten wir die Markenstory und Positionierung in einem Core-Story-Sprint gemeinsam entwickelt. Jetzt galt es, Wege zu finden, die Marke zum Leben zu erwecken. Und zwar mit Maßnahmen, die schnell mehr Produkte verkaufen. Gar nicht so leicht. Vor allem wenn ein Unternehmen sein Marketing von Null aus startet. Daher habe ich für den Workshop eine einfache Kreativ-Technik entworfen: Die ‚Marketing-Startrampe‘ hilft mit vier leichten Fragen dabei, Marketingmaßnahmen zu entwicklen und zu priorisieren. Hier die ganze Geschichte:
Sein Marketing von Null aus starten: Keine leichte Aufgabe!
Jedes Start-up startet sein Marketing von Null aus. Keine leichte Aufgabe. Niemand im Markt kennt das Produkt. Niemand kennt die Marke. Und im Gegensatz zu etablierten Unternehmen gibt es kaum Erfahrungswissen, welche Kanäle und Formate für ihre Produkte funktionieren und welche nicht.
Gleichzeitig gibt es gerade im Marketing unüberschaubar viele Experten, Blogs und Fachbücher. Sie alle werben damit, das Geheimrezept für erfolgreiches Marketing in der Tasche zu haben. Alles was man brauche, sei eine große Idee, die plattform-übergreifende Kommunikation möglich mache, sagen die Einen. Influencer sind der Schlüssel zum Erfolg, rufen die Anderen. Nein, man müsse besser ein Love-Brand werden. Dabei darf man sein Performance Marketing aber genauso wenig vernachlässigen, wie seine digitale Markenstrategie oder das Content-Konzept für Instagram, Facebook, Twitter und Snapchat, das sich an jeder Phase des Sales-Funnels orientieren sollte. Und natürlich gibt es für jedes Rezept genügend Fallbeispiele, die dessen Wirksamkeit belegen. Wo also anfangen? Die Vielfalt der digitalen und analogen Werbemöglichkeiten kann ein Marketing-Team ebenso schnell blockieren, wie einen Autor das weiße Blatt Papier.
Aber sein Marketing von Null aus zu starten, kann auch eine Situation absoluter Freiheit sein. Eine großartige Gelegenheit, um von Grund auf neu zu denken. Neue Wege. Neue Ideen. Alles ist möglich. Alles ist richtig, solange es die Bekanntheit der Marke steigert und die Verkäufe unterstützt. Und das Einzige, was Denken und Handeln einschränkt, sind die eigenen Mittel. Die Skills, die das Team mitbringt. Und natürlich das Geld, das zur Verfügung steht. Aber davon abgesehen, braucht es nur noch den Mut anzufangen. Und vielleicht eine kleine Startrampe, die hilft, eigene Ideen schnell zu entwickeln und zu priorisieren.
Vier Fragen + Drei Zielgruppen = Eine Startrampe für die Marketing-Planung
Genau so eine Startrampe wollte ich für den Workshop bauen. Also habe ich mich in mein Lieblings-Café gesetzt und mich gefragt, wie eine Kreativ-Technik aussehen könnte, die es dem Team erleichtert, ihre Marketing-Ideen schnell zu visualisieren, zu sortieren und so zu priorisieren, dass sie vom Workshop aus schnell in den Umsetzungsmodus schalten können.
Und während ich so auf meinem iPad herumkritzelte, schoss mir auf einmal ein Gedanke durch den Kopf und ich erinnerte mich an die Marketing-Definition von Marketing-Professor Byron Sharp. Er schreibt in How Brands Grow:
„The key marketing activity is (…) to make a brand easier to buy for more people in more situations.“ (p180)
Für Byron Sharp gibt es lediglich zwei große Stellschrauben, an denen ein Marketing-Team drehen kann, um Kaufentscheidungen zu vereinfachen. Das Team kann die Wahrnehmung der Marke vereinfachen, indem es an der Sichtbarkeit und Merkwürdigkeit der Marke dreht. Denn es ist wahrscheinlicher, dass jemand eine Marke kauft, die er im Kopf verfügbar hat. Und/Oder das Team steigert die physische Verfügbarkeit des Produkts. Denn ein Konsument wird eher zu Produkten greifen, die in seinem Umfeld leicht erhältlich sind. Diese beiden Stellschrauben nennt Sharp ?Mental- und Physical-Availability.
Moment mal, dachte ich. Aus der Definition von Sharp lässt sich eine Prima-Arbeitsfrage für den Workshop formulieren, die die Mission des Marketing-Teams plattform- und kanalübergreifend zusammenfasst:
„Wie machen wir es mehr Menschen in mehr Situationen einfacher die Marke zu kaufen?“
Ich liebe Wie-Fragen für Workshops, weil sie automatisch die Kreativität anregen. Denn jede Antwort auf eine Wie-Frage ist gleichzeitig eine Idee. Allerdings erschien mir die Frage noch zu offen, um mit ihr zu arbeiten. Denn eine zu breit gestellte Frage führt schnell dazu, eine Workshop-Gruppe zu fragmentieren, wenn die Teilnehmer in zu unterschiedliche Richtungen denken und den gemeinsamen Fokus verlieren.
Also habe ich mir selbst eine Wie-Frage gestellt: Wie kann ich diese große Frage in kleinere Fragen runter brechen? Da fiel mir eine sehr lesenswerte Studie von Les Binet & Peter Field ein, in der sie die kurzfristigen und langfristigen Effekte von Sales- und Brand-Marketing untersuchen. In der Studie gehen sie von der Annahme aus, dass jede Marke im Prinzip mit drei Zielgruppen kommuniziert: Mit der existierende Nutzerschaft. Mit potenziellen Kunden, die jetzt gerade an dem Produkt, der Marke oder der Kategorie Interesse haben. Und mit der Gruppe derjenigen, die auf lange Sicht zu einem Käufer werden könnten, aber heute noch nicht wissen, dass es die Marke gibt oder dass sie das Produkt brauchen.
Je nachdem, welche Zielgruppe eine Marke anspricht, kann sie kurzfristige oder langfristige Erfolge erwarten. Wobei die Autoren der Studie (ebenso wie Byron Sharp) davon ausgehen, dass eine Marke nur dann langfristig wachsen kann, wenn sie ihre Käuferschaft kontinuierlich vergrößert. Also auch in die reichweitenstarke Ansprache der Future-Prospects investiert. Aber das nur am Rande. Ich komme vom Thema ab.
Die Marketing-Startrampe
Für den Workshop habe ich also aus der Marketing-Definition von Sharp eine Leitfrage in Wie-Form abgeleitet und anschließend mit den drei Zielgruppen aus der Studie von Les Binet und Peter Field kombiniert. Und plötzlich entstand ein Raster, das die initiale Marketing-Planung auf vier simple Fragen runter bricht. Fragen, die jeder vom Praktikanten bis zum CMO bearbeiten kann, weil sie das Denken von einer Menge (pseudo-)theoretischem Marketing-Balast befreien.
Die vier Fragen lauten:
- Wie machen wir es mehr Menschen in mehr Situationen einfacher unsere Marke/unser Produkt zu kaufen?
(Marketing-Leitfrage) - Wie machen wir es Menschen, die uns noch nicht kennen oder unser Produkt noch nicht brauchen einfacher, die Marke wahrzunehmen und im Kopf zu behalten?
(Sub-Frage Longterm Prospects) - Wie machen wir es Menschen, die jetzt Interesse an der Marke, dem Produkt oder ähnlichen Produkten (der Kategorie) haben, einfacher, zum ersten Mal zuzugreifen?
(Sub-Frage Immediate Prospects) - Wie machen wir es unseren existierenden Kunden, Fans und Followern einfacher, erneut zu kaufen und uns weiterzuempfehlen? (Sub-Frage Customer Base)
Und um dem Baby einen Namen zu geben, habe ich das Raster die „Marketing-Startrampe“ genannt. Tschacka!
Die Anwendung der Startrampe ist simpel: Zuerst notiert jeder Workshop-Teilnehmer seine Antworten auf die vier Fragen auf Post-its. Anschließend werden die Ideen besprochen und können optional danach vorsortiert werden, ob sie eher an der mentalen oder physischen Verfügbarkeit drehen. Daraufhin priorisiert das Team die Post-its danach, welche Ideen sich am schnellsten umsetzen lassen.
Der Fokus auf Umsetzungsgeschwindigkeit verhindert, dass sich die Gruppe im Workshop in eine vielversprechende aber viel zu große und komplizierte Idee verliebt und deshalb nach dem Workshop mit der Umsetzung nicht vom Fleck kommt. Was tierisch frustrierend ist.
Und wann kommen Storytelling, Content und Marke ins Spiel?
Die Antworten, die die vier Fragen hervorrufen sind sehr funktional und klingen meist wie diese: „Wir brauchen einen kürzeren Bestell-Weg“, „Rabatt-Aktionen, um unsere Bestandskunden zu reaktivieren“, „Eine Reichweiten-Aktion auf Facebook“.
Und irgendwann stellt sich ganz natürlich die Frage, wie die Marke in diesem auf den ersten Blick freudlos, funktionalem Maßnahmen-Katalog zur Geltung kommt. Eine berechtigte Frage, die mich im Workshop für einen Moment aus dem Konzept gebracht hat. Hier die durchdachte Antwort 😉
Der strategische Sinn der Markenstory ist es, eine langfristige inhaltliche und visuelle Klammer zu bilden. Ein Dach, das alle Maßnahmen der Marke miteinander zu einem einheitlichen Bild verbindet und in Beziehung setzt. Und zwar nicht, weil es hübscher aussieht. Sondern damit es potentiellen Käufern leichter fällt, sich die Marke entlang einer konsistenten Narration zu merken und sich später in einer Kaufsituation an die Marke zu erinnern.
Gleichzeitig gibt die Markenstory dem Marketing-Team eine gemeinsame Basis, um einzelne Maßnahmen inhaltlich (in Text, Tonalität und Visualität) einheitlich auszugestalten. Sie hilft auch zu entscheiden, welche Maßnahmen nicht zur Marke passen (also „Off-Brand“ sind) und daher nicht angegangen werden sollten. Selbst das, was in der Werbung gerne als die große Idee (Big Idea) glorifiziert wird, wird innerhalb dieses Rasters verständlicher: Die große Idee ist strukturell betrachtet „nur“ ein temporärer, thematischer Rahmen. Ein Vordach, das es erlaubt möglichst viele Maßnahmen kreativ und aufmerksamkeitsstark miteinander zu kombinieren. Was in der Praxis alles andere als einfach ist.
Wenn ich die Maßnahmen-Ebene mit der inhaltlichen Ebene verbinde, dann sieht das so aus:
Abschließende Gedanken
Nachdem ich die Marketing-Startrampe im Workshop angewendet habe, bin ich überzeugt, dass sie den Einstieg in die Marketing-Planung vereinfacht. Ganz persönlich mag ich daran, dass die vier Fragen die Teilnehmer auf den Kern des Marketings fokussieren. Daher glaube ich auch, daß die Technik nicht nur dem Marketing-Team eines Start-ups helfen kann. Sondern jeder Marketing-Abteilung. Und auch jedem CMO, der einen frischen Blick auf seine Strategie sucht.
Die Startrampe hilft neue Ideen zu sammeln, zu priorisieren und in Aktion zu kommen. Natürlich kann kein Workshop und keine Kreativtechnik garantieren, dass die so entwickelten Ideen immer die Richtigen sind. Wer Neues wagt, der wird sich die eine oder andere blutige Nase zu holen. Das ist aber immer noch besser, als sich in großen Ideen, vermeindlichen Erfolgsrezepten, Marketingtrends und Strategien zu verzetteln.
Bei einer neuen Marke gibt eine klare Vorstellung der Brand-Story, von dem inhaltlichen Dach über allem, dem Marketing-Team die nötige Orientierung und die Grundlage, um Maßnahmen inhaltlich zu diskutieren. Aber bevor dieses Dach tragen kann, müssen erst ein Fundament und ein paar Wände gebaut werden. Denn es ist ziemlich schwer, ein neues Haus vom Dach aus zu bauen.
Die Startrampe hilft Teams dabei, sich ganzheitlich mit der Marketing-Planung zu beschäftigen und sich dabei auf die Maßnahmen-Ebene zu konzentrieren. Um dann gezielt ein inhaltliches Dach über die Maßnahmen zu konstruieren. Ich will sie weiter benutzen und verfeinern. Und ich bin gespannt zu hören, was ihr davon haltet. Und wenn ihr sie benutzt, wie sie für Euch funktioniert hat.
[Titelbild von Sticker Mule bei Unsplash ]