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Allgemein

Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Generierbarkeit. Gedanken zu Generative A.I. und kreativem Schaffen.

„Alter, ist das krass. Ich fass’ es nicht!“

Wie Millionen andere habe ich in den vergangenen Wochen viel Zeit mit ChatGPT, Mid Journey, Adobe Firefly und andere Generative A.I Tools verbracht. Ich habe mir von ChatGPT Blogposts, Überschriften und Brand Storys schreiben lassen. Ich habe nach Fachbüchern gefragt und mir deren Inhalte zusammenfassen lassen. Ich habe  Mood-Bilder für Produkte und Marken generiert und die Ergebnisse mit Adobe Firefly verändert. Auch das Titelbild stammt übrigens von einer Künstlichen Intelligenz.

Oft bin ich sprachlos, wie gut die Ergebnisse sind und wie schnell diese Tools besser werden.

Gleichzeitig sind da auch die Momente, die mich schon auch gruseln. Wenn die Ergebnisse zu gut sind, höre ich die Stimmen derer in meinem Hinterkopf, die gerade in offenen Briefen vor den Gefahren der künstlichen Intelligenz warnen. Sie fürchten nicht weniger als die Ausrottung des Menschen durch die KI. Dazu passt leider auch, dass die US-Navy kürzlich in einer Simulation mit KI-gesteuerten Drohnen, feststellen musste, dass die Drohnen ihr eigenes Bodenpersonal angriffen, weil die KI den menschlichen Operator als Störung des Missionsziels ansah (Quelle: The Guardian).

Es ist ein wenig so, wie bei den ersten Kinobesuchern. Die rannten beim Anblick einer auf die Leinwand zu fahrenden Lokomotive vor Angst aus den Kinosälen. Sie konnten einfach nicht glauben, was sie sahen.

Umso mehr beruhigt es dann, auch zu erleben, wie viel (im wahrsten Sinne des Wortes) generischen Quatsch die K.I. produziert, wenn sie nicht auf genügend Trainingsmaterial zugreifen kann – oder der Eingabebefehl (in AI-Profi-Sprech: „der Prompt“) zu ungenau ist.

Plötzlich beginnt der Algorithmus, mit dem Selbstbewusstsein eines zehnjährigen Kindes, das das ganze Internet gelesen hat, Sätze zusammen zu fabulieren, die plausibel und erwachsen klingen, aber keinen tieferen Sinn ergeben. Sie ergeben keinen Sinn, weil ihnen der kulturelle Kontext, die soziale Erfahrung und die emotionale Ebene fehlt, die den Aussagen Bedeutung verleihen. Am deutlichsten wird das, wenn ich ChatGPT nach einem Witz frage.

Noch versteht die KI nur die Muster von Sprache und Bildern, nicht deren Bedeutungsebene. Sätze und Bilder werden nach statistischer Wahrscheinlichkeit zusammengesetzt und nicht aus dem Bedürfnis des emotionalen, des künstlerischen Ausdrucks. Doch natürlich bleibt dabei die Frage: Wird das so bleiben – oder ist das Unverständnis für die emotionale Bedeutungsebene nur eine Kinderkrankheit dieser Technologie?
Wer weiß das schon?

Sicher ist für mich jedoch: Wir erleben hier einen Medienbruch, der unsere Zukunft auf allen Ebenen fundamental beeinflussen wird. Ich möchte mir einen Reim auf diese Veränderung zu machen. Dazu muss ich darüber schreiben. Es ist ganz so, wie es Susan Sonntag sagt: »Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke.«

Ein Medienumbruch, der zum Nachdenken aufruft

Ich habe mich also, ganz naiv und analog, an einem sonnigen Nachmittag mit einem Notizbuch auf die Terrasse gesetzt und mir Zeit genommen, einmal ganz bewusst über Generative-AI nachzudenken: Was habe ich in der Presse und online darüber gelesen? Was verstehe ich davon? Was nicht? Welche Erfahrungen habe ich gemacht? Und was glaube ich, welchen Effekt diese Technologien auf mich, meine Arbeit und die Welt um mich herum haben.

Und um hier gleich etwas Erwartungsmanagement zu betreiben: Antworten habe ich noch nicht. Aber das bewusste Nachdenken über K.I.  hat mich an mein sehr lange zurückliegendes Studium der Medienwissenschaft erinnert. Dabei ich bin dabei über drei Betrachtungsebenen gestolpert, die mir helfen, das aktuelle Geschehen einzuordnen. Davon handelt dieser Blogpost.

Die Rückkehr in den Vorlesungssaal

Mein Denken führte mich zurück in den düsteren Seminarraum des Instituts für Medienforschung der HBK Braunschweig. Ein schmuckloser Büroklotz mit grauen Fenstern unweit einer vierspurigen Schnellstraße, die den Innenstadtbereich und Gewerbepark voneinander trennt. Mit einem Schreibblock auf den Knien haben wir Studenten dort über Medientheoretiker:innen diskutiert, deren zu dicke Readern zusammen kopierte, Texte ich meist nur zur Hälfte verstanden (und gelesen hatte). Was zu einer Verständnisquote von etwa 25 % geführt hat. Immerhin.

Ein paar Erinnerungen aus dieser Zeit sind mir geblieben, mit denen ich in einem Blogpost, wie diesem, punkten kann. Wie wäre es zum Beispiel mit diesem Satz: „First we shape our tools and thereafter our tools shape us“.  Ich hatte abgespeichert, er stamme von dem Medientheoretiker Marshall McLuhan, musste aber beim Schreiben dieses Posts feststellen: Stimmt gar nicht. Die Aussage ist trotzdem gut: Wir passen unser Leben den Technologien an, die wir nutzen. Und das passiert entweder bewusst oder unbewusst. Ersteres finde ich deutlich attraktiver.

Just in diesem Moment schoss mir der Titel eines Aufsatzes durch den Kopf*: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Verfasst und veröffentlicht von dem deutschen Philosophen Walter Benjamin im Jahr 1936. Und mir ist wirklich nur der Titel eingefallen, den Inhalt hatte ich längst vergessen. Doch bereits der Titel löste sofort einen neuen Gedanken aus: Treten wir nicht gerade ins Zeitalter der technischen Generierbarkeit von Kunst ein?

Kurzentschlossen habe ich den Aufsatz gegoogelt, heruntergeladen und noch mal gelesen. 20 Jahre nach meinem Uniabschluss. Was soll ich sagen: Es ist immer noch kein Easy-Read. Sogar noch härter, als ich es in Erinnerung hatte. Trotzdem hat es sich gelohnt, denn ich habe in diesem fast 100 Jahre alten Text gleich drei Betrachtungsebenen gefunden, die meinen Blick auf Generative-AI gerade strukturieren.

Und ganz nebenbei liefert ChatGPT eine erstaunlich gute Zusammenfassung von Benjamins Thesen – wahrscheinlich direkt abgeleitet aus den tausenden, studentischen Hausarbeiten, die über diesen Text geschrieben wurden.

Ein Aufsatz von 1935 trifft auf 2023

Walter Benjamin reagierte mit seinem Aufsatz ebenfalls auf eine Epoche voller Medienumbrüche. Das Kino war damals Leitmedium. Das Fernsehen stand in den Startlöchern. Fotografie, Kunst und Musik waren dank neuer Kameras, neuen Druckverfahren und Schallplatten plötzlich ein überall verfügbares Massenprodukt. Und besonders die Nazis bedienten sich den neuen Möglichkeiten, um ihre Ansichten medial zu unterfüttern. In dieser Zeit fragte sich Benjamin kritisch, wie die technische Reproduzierbarkeit, die Wahrnehmung von Kunst, ihren Wert, ihre Produktion und die Kultur, in der sie entsteht, beeinflusst. 

Gerade erleben wir einen ähnlichen Umbruch: Nur heute steht die Frage im Raum, wie sich die Wahrnehmung von Kunst, ihr Wert, ihre Produktion und unsere Kultur verändert – wenn kreative Werke von künstlicher Intelligenz generiert werden. Heute gebe ich der Maschine einen Befehl und der Computer generiert mir Texte, Bilder und Illustrationen. Und die Technik wird hier nicht stehen bleiben: Was heute Texte und Bilder sind, sind morgen Videos und bald auch 3D-gedruckte Gegenstände. 

Um die damaligen Veränderungen zu verstehen, betrachtet Benjamin die Kunst auf drei Betrachtungsebenen: erstens auf der Ebene des inneren Wertes eines Kunstwerks. Benjamin nennt es die Aura des Werks. Zweitens auf der Ebene der Produktionstechniken. Und drittens auf der Ebene des Einflusses auf Politik und Kultur. Genau diese drei Ebenen habe ich mir zunutze gemacht, um meine ersten Gedanken zu ChatGPT und Co. zu strukturieren.

Betrachtungsebene 1: Die Aura computergenerierter Werke

Zu Beginn seines Aufsatzes schaut Walter Benjamin auf die Zeit zurück, in der Kunstwerke nur unter hohem Aufwand kopiert werden konnten. Bücher zum Beispiel waren bis zum Buchdruck Unikate. Ebenso Gemälde, Musik- und Theaterstücke. Das änderte sich durch Buchdruck, Tonaufnahme und Film. Durch die Reproduzierbarkeit löst sich das kreative Werk von Raum, Zeit und Gegenständlichkeit. Kunst wird zum Massenprodukt. Benjamin beschreibt eine tiefgreifende, kulturelle Veränderung, die – meines Erachtens – in der Digitalisierung ihren Höhepunkt findet. Einmal digitalisiert, lassen sich von einem kreativen Werk unendlich viele Kopien reproduzieren– ohne jeden Qualitätsverlust. 

„Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura.“ Walter Benjamin.

Schädel von Damien Hirst (75 Mio. Dollar wert)

Gleichzeitig verlieren massenhaft reproduzierte Werke ihre AURA. Damit meint Benjamin die spürbare, aber nicht greifbare Besonderheit des Originals. Es ist diese Aura des Einzigartigen, die Menschen zur Mona Lisa in den Louvre zieht. Denn nur noch »das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus«, schreibt Benjamin in seinem Aufsatz.

Gleichzeitig verpufft die Aura nicht einfach durch die Massenproduktion. Sie verschiebt sich stattdessen vom einzelnen Werk auf eine andere Instanz: auf die Persönlichkeit und den Ruhm der Künstler:innen, auf die Marke, auf das Echtheitszertifikat, auf den Ort der Ausstellung, die Anzahl der Fans.

Praktisch kann man sich so vorstellen: Jeder kann einen Totenkopf mit Strass-Steinen (oder mit Diamanten, wenn das Geld reicht) bekleben. Einen echten Damien Hirst bekommt man dadurch nicht. Aber auch ein von Damien Hirst in Serie produzierter Totenschädel, wird nicht die gleiche Aura haben wie das Original. Die flüchtige Aura des Neuen.

Aber wie steht es nun um die Aura der KI-generierten Werke? Derzeit umgibt diese Werke noch eine seltsame Aura der Faszination. Es ist eine Aura des Staunens. Eine Aura der Ungläubigkeit: „Das hat eine Maschine geschaffen! Ohne Bewusstsein. Ohne Kreativität. Nur aus der Berechnung statistischer Nähe von Wörtern und Pixeln zueinander wurde dieses Werk geschaffen.“ 

Jedes KI-generierte Bild ist zunächst, besonders für Kreative und Künster:innen, ein Memento Mori der menschlichen Intelligenz und Schaffenskraft. Wenn es nicht mehr einzigartig für den Menschen ist, Kunst zu schaffen, kreativ zu sein, was macht uns dann noch einzigartig?  

Noch reicht die Neuartigkeit, um generierten Ergebnissen die Aura des Besonderen zu verleihen. Kein Wunder also, dass bereits Werbeagenturen auf den Zug aufspringen und KI-basierte Kampagnen lostreten, solange die Aura allein Aufmerksamkeit generiert.

Doch der Glanz des Neuen, der Wow-Effekt, wird sich schnell abnutzen. Bald schon werden die generierten Bilder und Texte die Aura des Neuen verlieren. Sie werden allgegenwärtig, natürlich, normal. 

Die Aura des technisch generierten Werks wird sich dann auf denjenigen verschieben, der den Befehl zu seiner Generierung gegeben hat. Schon jetzt positionieren sich auf LinkedIn die ersten „Promt-Artists“ und „Promt-Consultants“. 

Doch auch bei meisterhafter Beherrschung der Maschine, wird es generierte Werke geben, denen mehr Wert zugesprochen wird als anderen. Es wird auch in Zukunft noch einen Unterschied machen, ob ich oder z. B. Lady Gaga einen Prompt eingeben. Auch wenn es der wortgleiche Befehl ist, wird das generierte Werk unterschiedlich bewertet werden. 

Auch im Zeitalter der technischen Generierbarkeit bleibt die Bedeutung von kreativen Werken und der Wert von Kunstwerken eine sozio-kulturelle Zuschreibung.

Die Bedeutung eines Werks liegt niemals allein im Objekt. Es ist immer der kulturelle Kontext, der einem Werk Bedeutung verleiht. Ein Stuhl ist ein Stuhl. Erst die kulturellen Narrative, die ihn umgeben, machen aus dem Stuhl einen Thron. 

Zudem wird es bald auch eine Gegenbewegung zur technisch generierten Kunst geben. Es werden sich Menschen aufmachen, um die Aura des **menschengemachten** Werks zu schützen, indem sie sich bewusst der KI verweigern.

Auf die Flut der digitalen Smartphone-Fotos ist eine kleinere Welle von Analog-Fotografie-Enthusiast:innen gefolgt. Auf die Flut der digital verfügbaren Musik folgte das Aufblühen einer kleineren Welt von Vinyl-Fans. Auf die Flut der AI generierten Bilder und Texte wird eine Rückbesinnung auf „Echte“, weil von Menschenhand erstellen Bilder und Texte folgen. 

Ich glaube daher nicht, dass die Technologie die Kreativen und Kunstschaffenden ersetzt wird. Sie wird aber neue Formen des Schaffens erzwingen und dabei den Raum für bestehende Schaffensformen verkleinern. Handgemachte Werke werden (hauptsächlich im Bereich der kommerziellen Kreativität und Werbung) zu einem Liebhaberobjekt. Zu etwas, was man sich leistet, um sich abzuheben. 

Gleichzeitig, und das ist das verrückte, erleichtern es die neuen Technologien Menschen, ihre Gedanken in Bildern und Texten zu teilen – ohne jahrelang ein künstlerisches Handwerk zu lernen. Die Tools demokratisieren das kreative Schaffen. Damit kommen wir zur zweiten Betrachtungsebene.

Betrachtungsebene 2: Demokratisierung vs. Kommerzialisierung

Neue Medientechnologien tragen fast immer ein idealistisches Demokratisierungsversprechen in sich, das immer droht von kommerziellen Interessen aufgefressen zu werden. Bertolt Brecht dachte in den 1920er-Jahren, das Radio würde der Arbeiterklasse endlich eine Stimme geben. Es gab der Werbung eine Stimme. Auch bei Social Media ist die Sache irgendwie ähnlich gelaufen. Wie sieht das für Generative A.I. aus? 

Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass es Tools wie ChatGPT und Midjourney mehr Menschen ermöglichen, ihren Gedanken einen künstlerischen Ausdruck zu geben. Die künstliche Intelligenz hilft dabei, Wissen zugänglich zu machen und Gedanken über Sprache und Bilder zu teilen. Die Technologie hat sogar das Potenzial, ganz neue Formen des Ausdrucks zu ermöglichen. 

Für mich ist eine der spannendsten Anwendungen von AI-Sprachmodellen die Entschlüsselung von Tiersprachen. Es ist den Menschen bisher nicht gelungen, die Sprache der Tiere zu entschlüsseln. Vielleicht, weil Menschen gedanklich nicht aus den Sprachkonzepten unseres eigenen Gehirns ausbrechen können. KI kann das. Ich halte es für kaum vorstellbar, wie es unser Denken, die Kunst und unser Empfinden verändern würde, wenn wir z. B. die Sprache von Delfinen oder Rindern verstünden – und in ihre Welt eintauchen können. Einen Einblick in eine solche Zukunft gibt eine Folge der Sci-Fi Serie Extrapolation, in der eine Wissenschaftlerin mit der letzten lebenden Wal-Dame spricht.

Aber zurück in die Gegenwart: Mir helfen KI-Tools am meisten bei alltäglichen und sich wiederholenden Schreib- und Recherchetätigkeiten. Besonders ChatGPT ist exzellent bei Gebrauchstexten: Einfache Werbetexte, Lebensläufe, Produkttexte, Stellenbeschreibungen, Hausarbeiten: je *generischer* die Textform, desto mehr Trainingsdaten gibt es, desto leichter fällt es der KI, Muster im Gleichen zu erkennen und überzeugende Ergebnisse zu erzeugen. Dabei geht es nicht immer nur um den Inhalt eines Textes. Oft profitiere ich auch sehr davon, unterschiedliche Tonalitäten auszuprobieren, indem ich mir einen Text im Stil bekannter Autor:innen umschreiben lasse.

Sobald emotionale Intelligenz, kulturelles Wissen, subjektives Erleben oder gar situativer Kontext für das Verständnis nötig sind, kommt die Maschine an ihre Grenzen. Der Geschichtenerzähler in mir finde es gar nicht schlecht, wenn die KI zukünftig die Gebrauchstexte übernimmt.

Zu viele kreative und sprachbegabte Menschen verbringen ihre Tage damit, Texte zu formulieren, die nur existieren, um in einem Landingpage-Layout den Platz zwischen zwei Buttons zu füllen. Besonders das letzte Jahrzehnt ist davon geprägt, dass die weltweit hellsten Köpfe ihre Zeit und Kreativität darauf verwendet (oder verschwendet) haben, sich die Bilder, Texte und Algorithmen auszudenken, damit noch mehr Menschen auf noch mehr Online-Werbung klicken. Der Optimist in mir hofft, dass diese menschliche Kreativität jetzt frei wird, um sich drängenden Themen zu widmen. Die Welt hätte es bitter nötig.

Trotzdem werden in den nächsten Jahren viele kreative Jobs wegbrechen, die bald von einer KI übernommen werden. Als Gesellschaft werden wir uns die Frage stellen müssen, wie wir diejenigen mitnehmen, die vermeintlich nicht mehr gebraucht werden.

Der Demokratisierung und Befreiung der Kreativität steht die Kommerzialisierung gegenüber: Es herrscht wieder Goldgräberstimmung im Silicon Valley. Täglich entstehen neue Tools. Neue Firmen werden gegründet. Firmen, wie Nvidia, wachsen rasant. Schon bald wird es Verteilungskämpfe geben, um die Trainingsdaten und um die Hoheit über die Algorithmen. Und der Hunger der Wirtschaft auf KI ist riesig – wahrscheinlich auch weil die Technik verspricht, den Bottleneck zu lösen, den der Fachkräftemangel in den nächsten Jahrzehnten in die Wirtschaft reißen wird. 

Noch ist nicht absehbar, in welche Richtung sich das Thema entwickelt. KI ist dabei, die Medizin zu revolutionieren. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, den Klimawandel zu stoppen. Sie kann aber auch unsere Konsumkultur und die Zerstörung der Ökosysteme weiter anheizen, oder die digitale Überwachung perfektionieren. Für mich klingt eine Welt in der KI, die Werbung in Echtzeit generiert und personalisiert auf meine Vision Pro ausspielt, nach einer schrecklichen Dystopie. Wir sind wahrscheinlich näher dran, als ich gerade vermute.

In der TV-Serie Star Trek gibt es den „Replikator“. Das ist eine fiktive Maschine, die auf Sprachbefehl jedes gewünschte Objekt aus umher schwirrenden Atomen generiert. In der Serie hat der Replikator die Menschen aus ihrem Arbeitszwang befreit. Es braucht kein Geld mehr, um Dinge zu erschaffen und so wurden die Menschen zu Forscher:innen und Künstler:innen. Aber die gleiche Technik lässt sich auch nutzen, um Waffen zu generieren und Feldzüge zu starten. 

Technologie ist  „nur“ das menschliche Interface zur materiellen Welt. Sie ist zunächst neutral – das gilt auch für ChatGPT oder Midjourney. Sie demokratisieren den Schaffensprozess und sind zugleich kommerzielles Objekt der Begierde. Die Verantwortung für das Interface liegt bei uns. Damit nähere ich mich der letzten Ebene: den Einfluss der Technologie auf Kultur und das Zusammenleben.

Betrachtungsebene 3: Offensichtlicher Missbrauch und unterbewusste kulturelle Realitätsverschiebungen

Schon Walter Benjamin sah, wie massenproduzierte Kunst für Propagandazwecke missbraucht wurde. Er blickte besonders darauf, wie der Faschismus besonders das Medium Film zur Ästhetisierung von klassischen Körperbildern, Aufmärschen und Architekturen nutzt. Eine Bewegung, die schlussendlich für Benjamin nur in einen Krieg führen müsse. Dem gegenüber stehe die Politisierung der Kunst vonseiten des linken Spektrums. Es ist schon verrückt, wie sehr diese Konfliktlinien auch heute wieder spürbar sind. Man denke nur an die unsägliche Winnetou-Debatte im letzten Jahr.

Mit Blick auf KI-generierte Werke dominiert heute allerdings eher die Angst vor Missbrauch die mediale Diskussion. Feindliche politische Akteure könnten  (und werden sicherlich) diese Technologien nutzen, um sich durch Falschinformationen, Propaganda und Fake News strategische Vorteile zu verschaffen. Die KI-generierte Werke helfen ihnen, die Meinungsbildung zu manipulieren und den demokratischen Zusammenhalt zu untergraben.

So bedrohlich diese Szenarien sind: Immerhin sind auf dem Radar aller Akteure. Es werden von vielen Seiten bessere oder schlechtere Maßnahmen getroffen, um sich auf solche Szenarien vorzubereiten. So wie es AI-Systeme gibt, um Bilder und Texte zu generieren, werden bereits KI-Systeme trainiert, um KI-generierte Bilder und Texte zu erkennen. Es wird ein Katz und Maus Spiel werden. Ein ewiger Kampf um die Echtheit und Evidenz der Bilder und den gesellschaftlichen Konsens über das, was eigentlich noch Wahrheit ist. 

Noch gefährlicher, weil schleichender, empfinde ich die drohende alltägliche Realitätsverschiebung durch künstlich generierte Texte und Bilder – die uns bevorsteht. Lasst mich dafür etwas ausholen:

Jedes Bild, jeder Text, der in die Öffentlichkeit gelangt, wird Teil des medial-diskursiven Gewebes, aus dem heraus wir unsere Realität konstruieren. Was wir sehen und lesen, bestimmt mit, wie wir die Welt sehen und lesen. 

„Die Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich organisiert – das Medium, in dem sie erfolgt – ist nicht nur natürlich, sondern auch geschichtlich bedingt“ (Walter Benjamin)

Schon immer ist die Macht, Bilder und Texte in die Wahrnehmung einzubringen, ungleich verteilt. In jeder Gesellschaft gibt es Stimmen und Meinungen, die deutlich präsenter sind als andere und darüber bestimmen, wie Themen medial repräsentiert werden. Die Diskussion über Mainstream-Meinung und Gegenmeinungen ist Ausdruck dieser gesellschaftlichen Machtstrukturen, genauso wie die sogenannten Filterblasen. Schon heute greifen Algorithmen tief in unsere Realitätskonstruktion ein, weil sie darüber entscheiden, was wir in unseren Feeds auf Facebook, Instagram oder TikTok erleben. Schon jetzt befeuern sie dadurch die gesellschaftliche Polarisierung. Doch mit Generative-AI, so denke ich, könnte sich dieser Eingriff auf eine tiefere, kulturelle Ebene verschieben. 

Kultur, so beschreiben es die Cultural Studies, ist ein „System of shared believes“. Kulturen funktionieren nur als Gemeinschaft, wenn sie geteilte Narrative, Glaubenssätze, Rituale und Symbole besitzen, die eine gemeinsame Realität ermöglichen. Das gilt im Großen für Nationen und genauso im Kleinen für Heavy Metal Fans. 

Diese Narrative, Symbole und Rituale sind allerdings nicht fix und gottgegeben. Es sind menschengemachte Wahrheiten. Sie können und werden sich über die Zeit verändern. Kultur und ihre mediale Repräsentation bedingen sich dabei gegenseitig. Die Bilder und Texte, die wir in die Welt setzen, bestimmen mit, wie wir die Welt sehen – und umgekehrt.

Gute Beispiele für das Zusammenspiel von Kultur und medialer Repräsentation ist der Wandel visueller Schönheitsideale – oder die sich (noch zu langsam) verändernde Repräsentation von LGBTQ-Menschen in den Medien.

Entsprechend braucht es neue Bilder, Texte und Narrative, um die Welt mit anderen Augen zu sehen. Genau hier setzt der kulturelle Wert der Kunst und des kreativen Schaffens ein: Im besten Fall ist Kunst ein emotionales Spürsystem für kulturelle Veränderungen. Kunst versetzt uns in die Lage, die Welt durch neue Bilder und neue Geschichten neu zu erleben. Immer wieder waren es gerade Kunstschaffende, die mit ihren Werken zum emotionalen Verständnis des kulturellen Wandels einer Epoche beigetragen haben. 

„Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen, für denen volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist“ (Walter Benjamin)

Wenn aber nun die KI immer mehr Bilder und Texte produziert und diese Werke anderen künstlichen Intelligenzen als Trainingsmaterial dienen, um weitere Texte und Bilder zu produzieren – schließen wir dann nicht den Faktor Mensch aus der medialen Repräsentation und der Gestaltung von Kultur aus? 

Genau dieses Szenario finde ich kritisch, weil (zumindest heute) KI-Systeme ihre Ergebnisse nur aus historischen Daten heraus ableiten. Die KI spürt keinen Zeitgeist. Sie spürt keinen sozialen und kulturellen Kontext. Sie kennt nur die historische, statistische Häufung – gewissermaßen die mathematische Abbildung der Tradition. Ein plakatives Beispiel: Wenn ich Midjourney bitte, sich „einen CEO vorzustellen“, ist das erste Ergebnis ein weißer Mann – weil die Statistik (noch) dafür spricht. Aus historischen Mustern auszubrechen, Traditionen zu hinterfragen und zu verändern, ist eine menschliche Entscheidung.

Prompt: „A successful CEO“. Erste Ergebnisse von Midjourney

Ich finde es schon kritisch genug, dass wir bei Instagram, LinkedIn oder TikTok einem Algorithmus die Entscheidung überlassen, welche Bilder wir sehen. Vielleicht sollten wir der KI nicht auch die Entscheidung überlassen, was wir auf den Bildern sehen. 

Ausprobieren. Kritisch bleiben. Menschlichkeit unterstreichen.
Das ist mein Fazit. For now.

Mit der technischen Generierbarkeit von Kunst haben wir das von Benjamin beschriebene Zeitalter der Reproduzierbarkeit verlassen. Wir sind in das KI-Zeitalter eingetreten. Die Folgen kann noch niemand abschätzen. Umso wichtiger erscheint mir, einen nüchternen, kritischen Blick auf diesen Medienumbruch zu behalten. Es ist immer gut, nicht nur die fliegenden Autos zu sehen – sondern sich auch die fliegenden Staus vorzustellen. Die drei Betrachtungsebenen Aura, Demokratisierung, Kultur &Politik, die Benjamin angesetzt hat, helfen mir, das zu tun.  Und ich werde diese Neue Welt weiter für mich erforschen – und sicherlich auch wieder darüber schreiben (mit und ohne KI-Unterstützung). 

Um meinen eigenen Job mache ich mir im Moment noch keine Sorgen. In allen Phasen der Beratung und der Story-Entwicklung gilt es zuzuhören, es gilt die feinen emotionalen und sachlichen Signale aufzunehmen und zu lesen, um wirkungsvolle Narrative zu entwickeln. Beim Finden und Abstimmen von Unternehmensnarrativen hilft die KI noch nicht. Ganz anders beim Ausformulieren und Visualisieren dieser Narrative. Hier ist mir die KI schon heute eine Hilfe. 

Es bleibt also spannend, ob wir in naher Zukunft eine AI miterleben werden, die sich ihrer selbst bewusst ist. Gerade deutet in der Forschung einiges darauf hin, dass unser Bewusstsein doch keine Software ist, die einfach so in unserem Gehirn abläuft. Das Bewusstsein scheint den Körper, die Muskeln, die Eingeweide und Nerven (die Wetware) zu benötigen, um zu funktionieren.  

Körperliches, emotionales Erleben. Die Präsenz im Moment. Das Spüren von zwischenmenschlichen Signalen. Das Erleben von Emotionen und Kontexten. Es ist diese Feinfühligkeit, die uns Menschen und die Kunst als unseren subjektiven Ausdruck immer noch besonders macht. Ich hoffe, dass das noch eine Weile so bleibt.

Der Comedian ELHOTZO hat es treffend zusammengefasst: „warum lassen wir AI coole Dinge machen (Gedichte schreiben, Bilder malen) und nicht erstmal die ganzen uncoolen (Müll rausbringen, Telefonieren)“

Menüs enden. Abenteuer beginnen.