Gedanken zu Markenstory, Wachstum und Kundenerlebnis bei AirBnB.
Kurzgefasst: Ein Zuhause in der Fremde und ein individuelles Reiseerlebnis verspricht die Markenstory von AirBnB. Vor allem der Unterschied zum Hotel macht das AirBnB Erlebnis besonders. Doch mit zunehmendem Wachstum gleichen sich AirBnB- und Hotel-Erlebnis an. Dafür treten die Konflikte zwischen AirBnB, Kommunen und Anwohnern deutlicher hervor. Die Marke scheint durch ihr eigenes Wachstum in eine Zwickmühle zu geraten.
„Belong Anywhere“
Überall zuhause sein. Das ist die Markenstory von AirBnB . Mit einer AirBnB Wohnung bist du kein Fremder in einer fremden Stadt. Du bist ein Einheimischer. Denn du hast ein Zuhause: Eine von deinem Gastgeber individuell eingerichtete Wohnung in einer echten Nachbarschaft. Willkommen daheim in der Fremde.
Der Marke AirBnB gelingt mit dieser Core-Story etwas Besonderes. Denn die Marke schafft es zwei eigentlich gegensätzliche Bedüfnisse in ihrem Versprechen zu kombinieren. Zum einen spricht sie das starke, emotionale Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Geborgenheit an. Und wer fürchtet nicht, sich in der Fremde einsam und verloren zu fühlen. Gleichzeitig kommt die Marke dem gegensätzlichen Bedürfnis nach Individualität nach. Und verspricht den Konsumwunsch nach einem einzigartigen, persönlichen Reiseerlebnis zu erfüllen. Ganz egal, wo die Reise hinführt.
Vor drei Jahren habe ich genau diese Markenstory erlebt. Für unsere Hochzeitsreise haben wir eine Wohnung in Paris über AirBnB gemietet. Es war eine kleine, verwinkelte Privatwohnung mit einer riesigen DVD- und philosophischen Büchersammlung. Sie lag nahe der Seine im 5. Arrondissement. Unser Gastgeber war anscheindend ein Lehrer an der Universität. Er hinterließ uns handgeschriebene Restaurant-Tipps. Sein ziemlich verwirrter Freund übergab uns die Schlüssel, da er selbst im Urlaub war. Wir haben uns in kürzester Zeit zuhause gefühlt. Es war, als ob wir schon Jahre in Paris leben würden. Und diese besondere Reise wird immer mit der Marke AirBnB verbunden bleiben. Beim nächsten Mal auf jeden Fall wieder AirBnB, haben wir gesagt. Viel besser als ein unpersönliches Hotel.
Hotels und das Problem der Skalierung
Eine gute Geschichte braucht einen Gegenspieler. Und der Gegnerspieler der AirBnB Story ist das System Hotel. Hotels stehen zumeist einem individuellem Erleben im Weg. Bei aller Gastfreundlichkeit lässt sich das System Hotel nicht skalieren, ohne das Kundenerlebnis zu entpersonalisieren. Denn je größer und effizienter ein Hotel wird, desto mehr muss der Gast auf einen zahlenden Körper reduziert werden.
Dieser Körper bewohnt dann ein standartisiertes, leicht zu reinigendes Zimmer, dass er bis 11Uhr morgens verlassen muss. Er bekommt ein standartisiertes, kontinentales Frühstück (inkl. Rührei, Speck, Würstchen und Obstsalat). Aus Orientierunglosigkeit in der fremden Stadt isst er hoffentlich im Hotelrestaurant. Für sein Wlan zahlt er extra. Im besten Fall trinkt er aus Einsamkeit die überteuerte Minibar leer, während er Hotel-Pay-TV schaut. Für den fünften Stern gibt es noch eine Sauna, einen Fitnessraum im Keller und einen Föhn auf dem Zimmer. Es ist schon interessant, wie sehr die Architektur eines Hotels der eines Krankenhauses gleicht. Und je teurer das Hotel, desto mehr Krankenschwestern kümmern sich um den an Heimweh leidenden Patienten.
AirBnB und das Problem der Skalierung
Das Pariser AirBnB Erlebnis war das Gegenteil eines Hotelbesuchs. Und das hat es so besonders gemacht. Aber auch AirBnB muss wachsen. Und immer mehr Menschen entdecken in der Plattform eine professionelle Erwerbsquelle.
Ein Jahr später reisten meine Frau und ich nach Kalifornien. Über AirBnB mieteten wir ein Einzimmer-Appartement in Venice Beach. Die Wohnung war deutlich günstiger als jedes Hotel in der Umgebung. Doch dieses Mal war das Erlebnis bereits ein anderes. Wir buchten bei einem „Superhost“, der mehrere Zimmer und Wohnungen auf der Plattform anbietet. Den Schlüssel bekamen wir aus einem ‚Keysafe‘. Das war ein am Zaun angebrachter Hartplastik-Kasten mit Zahlenschloss. Die Wohung enthielt keine Spur von Persönlichkeit. Die Einrichtung war auf das Nötigste beschränkt, damit der Raum schnell zu reinigen bleibt. Der einzige Kontakt zum Gastgeber verlief über die Chatfunktion der AirBnB App. Als die Highlights der Wohung wurde die Strandnähe, eine kleine Nespresso Maschine, freies WLan und Netflix angepriesen. Der Unterschied zum Hotel schrumpfte auf einen Preisunterschied zusammen.
Vor wenigen Tagen sind wir aus Vancouver zurückgekommen. Und wieder haben wir eine Wohnung über AirBnB gebucht. Ein wirklich, stylisches Appartement im 18.Stock eines Appartementhauses mitten in Downtown. Der Check-in Prozess ist ebenso automatisiert abgelaufen wie in Venice Beach. Den Schlüssel habe ich aus einem Keysafe in einem Seven Eleven Supermarkt abgeholt. Was mich allerdings stutzig gemacht hat, waren die dringenden Bitten des Gastgebers per Chat, im Treppenhaus mit niemandem zu sprechen. Und falls es zu einem Gespräch käme, sollten wir unter keinen Umständen AirBnB erwähnen.
Schnell hatte ich über Google herausgefunden, dass private Vermietungen unter einem Monat in Vancouver schlicht illegal sind. Die Stadt fürchtet, ebenso wie Berlin, knappen Wohnraum zu verlieren. Und die Anwohner sind von den Heerscharen Rollkoffer-ziehender Touristen genervt. Plötzlich war ich Komplize in einem halbseidenen Mietgeschäft. Ein Komplize, der für ein standartisiertes Zimmer mit gesenktem Kopf über die Flure schleicht. Der hofft nicht gesehen oder angesprochen zu werden. Das Gegenteil von ‚Belong Anywhere‘. Das Hotelerlebnis ist zwar standartisiert und unpersönlich. Doch ich kann das Gebäude offen betreten. Ich weiß, dass Steuern gezahlt werden. Und dass ich keiner Familie direkt den Wohnraum wegnehme.
Zwickmühle Wachstum
Es geht mir hier nicht darum, gegen AirBnB zu wettern. Mein Erlebnis aus Vancouver trifft keinesfalls auf alle AirBnB Angebote zu. Und sicherlich werde ich auch in Zukunft wieder bei AirBnB buchen. Was mich an der Sache fasziniert, ist die systemische Zwickmühle in die die Marke AirBnB durch das eigene Wachstum (zumindest in meiner Wahrnehmung) gerät.
Erfolg macht das Leben einer Marke nicht immer einfacher. Denn je mehr AirBnB skaliert und sich der Marktplatz professionalisiert, desto mehr werden die Unterschiede zwischen Hotel und AirBnB schwinden – vor allem in touristischen Hotspots. Gleichzeitig erkennen Hotelketten den Bedarf und gleichen ihr Angebot mit persönlicher gestalteten Ferienwohnungen an AirBnB an. Im Moment hat AirBnB noch einen Preisvorteil gegenüber Hotelketten. Doch je ähnlicher sich beide Kundenerlebnisse werden und je mehr die Städte sich gehen AirBnB wehren, desto mehr wird das Markenversprechen „Belong Anywhere“ untergraben. Und um so mehr treten die Konflikte über Wohnraum und Steuereinahnem zwischen AirBnB, Städten und Anwohnern in den Vordergrund.
Eine Strategie, um dieser Zwickmühle zu entkommen, habe ich nicht. Es wäre auch ziemlich vermessen, das zu behaupten – auf der Basis meines Erlebens und einiger Zeitungsartikel. Allerdings scheint mir, dass AirBnB derzeit kein wirkliches Interesse an einer Lösung hat. Als ich die Wohnung angemietet habe, habe ich keinen Hinweis gefunden, dass meine Anmietung wahrscheinlich nicht rechtens ist. Gleichzeitig stellt sich AirBnB, so die Presse, schützend vor die Vermieter. Das Unternehmen gibt keine Vermieter-Adressen an Behörden weiter. Die Situation heizt sich immer weiter auf. Berlin schwingt bereits die Bußgeld-Keule. Und so wächst AirBnB zwar weiter, aber in einem immer unangenehmeren Klima. Als AirBnB – Kunde kann ich nur sagen, dass ich einen Hinweis über den rechtlichen Status des Vermieters auf der Webseite gut fände. Dann kann ich selbst entscheiden, ob ich über die Flure schleichen will. Oder in ein teureres Hotel ziehe.
Hallo Christian,
Sehr schöner Beitrag und Erfahrungsbericht, mir geht es bei Airbnb sehr ähnlich und es erinnert mich an das, was Starbucks passiert (ist). Seit einiger Zeit bewegt mich der Gedanke, dass Skalierbarkeit und Wachstum womöglich Authentizität und ursprüngliche Konzepte in Gefahr bringen. Leider.
LG!
Mael
Ich glaube an dem Gedanken ist was dran. Kommt allerdings auf die Definition von Authentizität an, das „Echte“ ist ja auch nur eine mentale Konstruktion. Und oft wird Authentizität mit Tradition verwechselt und birgt auch die Gefahr am Alten festzuhalten – und in Echtheit zu sterben. Der Mittelweg ist schwierig. Hab neulich den Film „The Founder“ gesehen, da wird genau das Thema verfolgt.
Hi Christian, ich bin mir nicht sicher ob diese Entwicklung am Wachstum von AirBnB liegt oder schlussendlich doch bei den Hosts und Gästen selbst. Die grosse Idee von AirBnB ist schön und gut, aber ich kann aus Erfahrung als Host sagen, dass die Nervösität und Freude auf den ersten Gast mittlerweile tatsächlich einer gewissen Routine gewichen ist.
Ich will nicht behaupten das sich die Gastlichkeit reduziert hat, aber es ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Sowohl bei den Hosts (die erst später realisieren, wie aufwendig es ist) als auch bei vielen routinierten AirBnB Gästen, die tatsächlich nur eine schnelle und wohligere Unterkunft als das Hotel suchen.
Ich betreibe AirBnB nicht primär aus finanziellem Interesse, sondern weil ich wirklich Spass und Freude daran habe Fremden das Gefühl von einem daheim zu geben, inklusive Tipps und Schöggeli.
Was aber in Berlin, Vancouver oder Venice Beach passiert scheint einfach eine natürliche Marktentwicklung von Angebot und Nachfrage zu sein. AirBnB wird es natürlich nicht einschränken, da sie ja ziemlich gut damit verdienen. Wer einfach nur schnell und billig bucht ohne auch nur auf eine Bewertung des Hosts zu achten (wie in dem Zeit-Artikel) kann nicht geholfen werden. Natürlich möchte AirBnB, dass ich Sofortbuchungen zulasse und „bessere Chancen für mehr Buchungen“ habe wenn meinen Mindestaufenthaltsdauer auf 1 Nacht reduziere. Aber die Leute, die so buchen möchte ich doch auch nicht hosten. Also zumindest ich nicht.
Für unsereins bleibt es dabei in der Masse die Perlen zu fischen (wobei ich die Funktion „Social Connections“ etwas vermisse) und ich bin bisher tatsächlich noch immer sehr begeistert von AirBnB und meinen Fundstücken.