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Allgemein

Branding & Storytelling: Feldnotizen über Markenstrategien und Geschichten

By 19. Oktober 2018No Comments

Dieser Beitrag ist Teil einer Serie über Storytelling & Branding

Bisher erschienen:
Intro: Marken aufbauen und führen: Es ist kompliziert
Folge 1: Storytelling und Branding sind nicht das Gleiche


 

Intro: Branding. Es ist kompliziert…

 

„Was ist das denn?“, fragte mich ein Kollege, während ich 2016 als Head of Story & Brand bei Jimdo arbeitete und zeigte kurz mit dem Finger auf das Bild, das hinter meinem Schreibtisch hing.

„Dieses Poster gibt einen Überblick über aktuelle Theorien zu Markenaufbau und Führung“, erklärte ich und freute mich über sein Interesse. „Es wurde von einem amerikanischen Werbestrategen entwickelt und…“ Weiter kam ich nicht.

„Sieht kompliziert aus“, sagte mein Kollege, lächelte, schaute auf seine Uhr und verabschiedete sich in den Meetingraum nebenan.

Mein Blick blieb noch eine Weile auf dem Poster hängen, das ich mir eigentlich als Inspirationsquelle aufgehängt hatte. Ich musste meinem Kollegen recht geben. Ganz schön kompliziert.

Über kaum ein anderes Marketingthema wird so viel diskutiert, geschrieben, Theoriebildung betrieben und anekdotisches Wissen ausgetauscht, wie über Markenaufbau und Markenführung. Dabei gibt es zwei Fronten: Auf der einen Seite stehen die, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse berufen, wie der Marketing-Professor Byron Sharp in seinem Buch “How Brands Grow” oder der Stratege Richard Sutton in “Choice Factory”. Ihnen Gegenüber stehen die Autoren populärer Management-Ratgeber, die aus Beobachtung und Erfahrung ihr Geheimrezept für den Markenerfolg ableiten: Start With Why, finde den Purpose, baue eine Love-Brand und mit einer Prise Storytelling drüber, ist dir der Erfolg sicher. Ganz einfach.

Und während Analytiker und Prediger wilde Kämpfe, um die richtige Methode austragen, müssen Gründer, CMOs und ihre Teams täglich pragmatische Entscheidungen über ihre Marken treffen. Entscheidungen, für die sie in die Verantwortung genommen werden.

Branding ist keine Raketenwissenschaft. Leider!

Ich habe über die letzten zehn Jahre eigentlich immer mit Marken und Geschichten gearbeitet – sei es als Planner in Agenturen, als freiberuflicher Stratege und Story-Architekt für Kampagnen und Markenstories oder als Verantwortlicher für die inhaltliche Markenführung. Dabei habe ich vor allem Eines gelernt: Branding ist keine Raketenwissenschaft. Leider.

Ganz ehrlich, ich beneide Physiker und Ingenieure für die Berechenbarkeit ihres Fachgebiets. Sie können die Flugbahn eines Satelliten vorausberechnen, der dann auch noch ankommt. Sensationell. Und dabei bedienen sich einer einzigen, einheitlichen Sprache: der Mathematik. Marken hingegen werden vor allem durch Kommunikation gebaut. Und Kommunikation ist kompliziert. Denn noch entzieht sich menschliches Denken und Verhalten dem vollen Verständnis und damit der Kontrolle eines Unternehmens (Gottseidank!).

Und eben weil Kommunikation kompliziert ist, verschieben sich auch alle paar Jahre die Wahrheiten darüber, was eine Marke eigentlich braucht, um erfolgreich zu sein. Das zeigt Paul Feldwick in seinen Buch „Anatomy of Humbug“ besonders deutlich. In dem Buch erzählt er nicht wie Werbung funktioniert, sondern wie Menschen in den letzten hundert Jahren geglaubt haben, dass Werbung funktioniert.

Geht es um rationales Überzeugen oder unbewusste Verführung? Oder beides? Es ist eben kompliziert. Aber das sollte nicht aufhalten neue Modelle zu skizzieren und Erfahrungen zu teilen.

All models are wrong. Some are useful.

Ich mag diesen Satz des Mathematikers George Box. Ich reiße das Zitat zwar aus seinem ursprünglichen Kontext. Trotzdem erinnert es mich daran, pragmatisch zu bleiben. Wenn der „Golden Circle“ aus dem Business-Ratgeber “Start with Why” einem Unternehmen hilft, seine Markenpositionierung zu klären, dann stört es wenig, dass Simon Sinnek das Erfolgsversprechen seiner Theorie aus einer sehr eingeschränkten Stichprobe abgeleitet hat.

Genauso erinnern Byron Sharp oder der Soziologe Duncan J. Watts in seinem Buch „Everything is obvious once you know the answer“ mit ihrem analytischen Blick daran, den Common Sense im Marketing stets kritisch zu hinterfragen. Oder besser noch durch eigenen A/B Tests zu überprüfen. Sind loyale Fans, die die Marke lieben, wirklich entscheidend für das Wachstum? Entscheiden Käufer wirklich rational? Ist der ROI wirklich der beste Indikator für den Erfolg einer Kampagne? Brauchen Marken wirklich einen USP? Liegt der Erfolg eines Produktes wirklich allein in dessen Qualität begründet? Es lohnt sich immer genau hinzuschauen.

Feldnotizen

Die Komplexität des Themas Marke und die unzähligen Beiträge, die täglich darüber geschrieben werden, haben mich lange abgehalten diesen Blogpost zu veröffentlichen. Gleichzeitig habe ich mir gerade zu den den Themen Storytelling und Branding immer wieder Überlegungen und Beobachtungen notiert und einige Modelle skizziert, die sich für mich als nützlich erwiesen haben.

Nützlich, weil sie mir geholfen haben, meinen Job gut zu machen. Oder weil sie Gründern und Entscheidern im Projekt geholfen haben, ihre Marke besser zu verstehen, zu steuern und zu inszenieren.

Ich möchte mit diesem Beitrag anfangen, einige dieser Feldnotizen zu teilen. Denn wenn sie nützlich für mich sind, vielleicht sind sie auch für andere nützlich. Dabei erhebe ich keinerlei Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Und wenn ich mit einem Gedanken fundamental falsch liege, dann erfahre ich das am  schnellsten mit Eurer Hilfe. Also schickt mir euer Feedback an hello@growthbystory.de

Los geht’s!


 

Folge 1: Storytelling und Branding sind nicht das Gleiche

 

“Wenn du nur einen Hammer hast, dann sieht alles aus wie ein Nagel.”

Die Redewendung aus dem Management-Phrasen-Handbuch warnt davor, das eigene Werkzeug nicht zu überschätzen. Da ist was dran. Das Werkzeug meiner Wahl ist Storytelling. Und natürlich laufe ich Gefahr, jedes Problem zu einem Storytelling – Problem zu erklären.

Gerade beim Thema Branding kann das schnell passieren. Schließlich suggeriert die Werbegeschichte, das Marken aus Geschichten gemacht werden. Storytelling sei „Branding in Practice“ argumentiert zum Beispiel das gleichnamige Fachbuch von Klaus Fog und anderen. Und Laura Busche definiert in  “Lean Branding“  eine Marke sogar als eine Geschichte:

“A brand is the story that the audience recalls when they think about you”

Aber wenn Branding und Storytelling nahezu identisch scheinen, warum benutzen wir dann unterschiedliche Begriffe? Das ist doch zumindest ein Indiz, dass es Unterschiede gibt. Schon deshalb habe ich angefangen, die Begrifflichkeiten für mich voneinander zu trennen.

Was ist Storytelling

Storytelling, zu deutsch ‘Geschichten erzählen’, bedeutet erstmal nichts weiter, als den kommunikativen Akt eine Geschichte zu erzählen. Es ist eine soziale Praktik. Ich kann Geschichten mündlich am Lagerfeuer oder im Restaurant erzählen. Ich kann sie inszenieren wie im Theater oder auf einer Konferenzbühne. Und über  ein technisches Medium kann ich die Story als Text, Buch, Film, Hörspiel oder Computerspiel zeitversetzt an ein größeres Publikum weitergeben.

Die Geschichte hingegen ist die mentale Konstruktion einer Ereigniskette, die der Erzähler aufbereitet, um sie an ein Publikum weiterzugeben. Dabei unterscheiden sich Geschichten von Informationen, Daten, Beschreibungen oder Berichten von Abläufen dadurch, dass eine Story einen kausalen und emotional greifbaren Zusammenhang zwischen den Ereignissen herstellt.

Der König ist tot. (Information, Datenpunkt)
Der König ist tot. Die Königin hat ihn mit einem Küchenmesser erstochen. (Bericht)
Der König ist tot. Die Königin hat ihn mit einem Küchenmesser erstochen. Sie konnte sein ewiges Gejammer über den royalen Stress einfach nicht mehr ertragen. (Story)

Dabei propagiert der Erzähler, durch die Art und Weise wie er die Ereignisse verknüpft, immer eine Weltsicht bzw. eine Moral. Neutrales Storytelling gibt es daher nicht.

So viel zur Minimal-Definition des Storytellings für diesen Beitrag. Sie lässt viele Aspekte aus. Vor allem den Aspekt der Erzählkunst. Seid Aristoteles haben sich viele Menschen Gedanken darüber gemacht, wie Geschichten erzählt werden müssen, damit sie beim Publikum ankommen.

Was ist Branding?

Meine herrlich wissenschaftlich klingende, aber rein aus der Erfahrung abgeleitete Branding-Definition für diesen Beitrag lautet:

“Branding bezeichnet für mich die Gesamtheit aller gezielten Aktivitäten eines Unternehmens, um die Wahrnehmung einer Marke und damit die Kaufentscheidung langfristig in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Das beinhaltet, eines oder mehrere Produkte mit einem Set von Markenzeichen (Name, Logo, Farben, Töne, Bilder…) zu verknüpfen, diese Markenzeichen bekannt zu machen, ihre Wahrnehmung mit emotionalen, assoziativen Bedeutungen aufzuladen. Damit Konsumenten die Marke als einfache Antwort auf ein Bedürfnis mental verfügbar haben und die verbundenen Produkte bewusst oder unbewusst beim Kauf präferieren und im Besten Fall sogar bereit sind aufgrund der zugeschriebenen Bedeutungen einen höheren Preis für Produkte dieser Marke zu zahlen.”

Die Markenvorstellung, die ein Konsument im Kopf hat, ist allernings nur zum Teil das Ergebnis der Branding-Aktivitäten eines Unternehmens. Denn das assoziative Netz aus Bedeutungen, Bildern, Emotionen und Heuristiken, das Konsumenten mit der Marke verbinden, ist zu einem großen Teil von seinem situativen Erleben und seinem alltäglichen Umfeld geprägt. Ein Umfeld in dem einzelne Marken meist keine aktive Rolle spielen. Mit welchen Marken beschäftigt man sich schon aktiv?

Eine Marke wie oben als “die eine eindeutige Geschichte” zu definieren, die Menschen im Kopf haben, halte ich deshalb für falsch. Die Wahrnehmung einer Marke lässt sich massiv über Geschichten beeinflussen, wenn auch nicht vollständig kontrollieren. Dabei sehe ich im Prinzip nur zwei Ansätze, wie Marken Storytelling nutzen.

Brand Storytelling

Brand Storytelling bedeutet einzelne Geschichten zu erzählen, um so die Wahrnehmung der Marke positiv zu beeinflussen. Diese Geschichten können Online oder offline, in Werbespots (wie beim EDEKA Weihnachtsspot), in Events oder in Radiospots erzählt werden. Oder so inszeniert, dass die Presse oder ein anderer Multiplikator die Erzählung übernimmt.

Dabei lässt sich vortrefflich darüber streiten, was genau eine Geschichte in diesem Kontext ist und was nicht. Ist Markenkommunikation nicht immer Storytelling, irgendwie? Diese Frage, so wichtig sie ist, klammere ich vorerst aus.

Story Branding

Story Branding hat für mich eine andere Bedeutung. Beim Story Branding wird ein ausgewähltes Narrativ selbst zu einem Markenzeichen, zu einem Brand Asset. Die Kern-Geschichte wird immer wieder in neuen Inszenierungen wiederholt und so als ein Erkennungsmerkmal der Marke – vergleichbar einem narrativem Logo – im Publikumsgedächtnis verankert. Ein Beispiel ist Snickers. Die Marke nutzt das Narrativ “Du bist nicht du selbst wenn du hungrig bist” als zentrales Markenelement. Um solche Kerngeschichten zu entwickeln, ist der Core-Story Canvas als Methode entstanden.

Diese Kerngeschichte wird je nach Markenmodell und Theorieansatz auch mal Mythos oder Glaubenssatz (Brand-Belief) genannt. Mir hilft es jedoch Glaubenssätze als Geschichte zu betrachten. Denn sie können sich nur durch Erzählen und Handeln nach außen mitgeteilt werden.

Fazit

Storytelling und Branding sind nicht das Gleiche. Branding bezeichnet die Gesamtheit der Aktivitäten, um die Wahrnehmung einer Marke im Sinne des Unternehmens und zugunsten einer Kaufentscheidung zu beeinflussen. Geschichten erzählen, also Storytelling, kann ein Weg sein, um diese Wahrnehmungsverschiebung zu erreichen. Das wirft natürlich die Frage auf: Wie kann Storytelling überhaupt die Bedeutung einer Marke oder eines Produktes beeinflussen. Davon handelt die nächste Folge.

Menüs enden. Abenteuer beginnen.