Vor einiger Zeit habe ich einen langen Blogpost darüber geschrieben, dass Storytelling menschliche Zusammenarbeit überhaupt erst möglich macht. Organisation können nur funktionieren, wenn es große und kleine Geschichten gibt, die den sozialen Zusammenhalt bestärken, geteilte Vorstellungen erzeugen und gemeinsame Ziele greifbar machen.
In diesem Blogpost möchte ich Euch nun ein einfaches Modell vorstellen, das aus diesen Überlegungen entstanden ist. Ich nenne es den „Story-Kompass“. Über das letzte Jahr hinweg habe ich es in mehreren Workshops mit CEOs und Führungskräften genutzt, um die wichtigsten Narrative für die Unternehmensleitung zu identifizieren und auszuarbeiten.
Der Story-Kompass
Der Story-Kompass richtet den Blick auf die fünf Erzählungen, die Führungskräfte brauchen, um ihr Unternehmen auf Kurs zu halten. Nur wenn Gründer:innen, CEOs und Management-Team die gleichen Geschichten über Strategie, Produkt, Purpose, Kultur und Strategie erzählen, ist fokussiertes Handeln möglich. Sobald diese Erzählungen auseinander driften, driftet auch die Organisation auseinander.
Darum müssen Führungskräfte diese Erzählungen täglich parat haben. Wie ein Politiker sind sie in der Verantwortung diese Narrative – oft in stark vereinfachter Form – immer wieder zu wiederholen. Nur wenn die Führungsmannschaft mit einer Stimme spricht, gelingt es ein geteiltes Verständnis bezüglich des Geschäftsmodells, der Kultur und der angestrebten Zukunft der Organisation herzustellen.
Leadership ist Storytelling – denn selbst die smartesten Gedanken und Entscheidungen können nicht umgesetzt werden, wenn sie im Team nicht ankommen. Schon deshalb lohnt es sich, regelmäßig die eigenen Erzählungen im Führungskreis zu überprüfen:
Erzählen wir (noch) die gleichen Geschichten, wenn wir mit anderen über Produkt, Marke, Strategie, unsere Unternehmenskultur oder den Zweck unseres Unternehmens sprechen? Müssen wir unsere Erzählungen verändern, weil sich das Unternehmen oder die Strategie verändert? Passen unsere Erzählungen eigentlich noch zusammen? Welche Geschichten werden im Team verstanden? Welche nicht? Welche Geschichten erzählen sich Mitarbeiter eigentlich über diese Themen? Deckt sich das mit unseren Erzählungen?
Diese Fragen lassen sich mit dem Story-Kompass strukturiert beantworten.
Das Besondere an diesem Modell: Jedes Narrativ hat ein klares Ziel
Im Story-Kompass ist jedem Narrativ eine klare Zielsetzung in eckigen Klammern zugeordnet. Die Kultur-Erzählung dient primär dazu, das soziale Gefüge der Organisation zu stabilisieren. Die Purpose-Erzählung macht den Unternehmenszweck verständlich und ermöglicht eine sinnstiftende Grundausrichtung.
Die Strategie-Erzählung zielt hingegen darauf, die Kraft des Teams auf ein in der Zukunft liegendes Ziel auszurichten, eine Vorstellung des Weges zu vermitteln und Kräfte zu fokussieren. Die Marken-Erzählung richtet sich an die Außenwelt. Sie muss begeistern, um die Marke in den Köpfen zu verankern und letztlich den Verkauf der eigenen Produkte zu unterstützen.
Die wichtigste Erzählung für jedes Unternehmen bleibt jedoch die Produkt-Erzählung. Um zu verkaufen, muss dieses Narrativ in einfachen Worten verständlich machen, was das Unternehmen heute anbietet (oder im Sinne einer Produktvision in Zukunft anbieten wird).
Der Bezug zu einer klaren Zielsetzung ist mir besonders wichtig. Die Differenzierung der Erzählungen nach ihrem Ziel hilft dabei, sich nicht in Details zu verzetteln oder Erzählungen zu vermischen.
Gerade letzteres kann für viel interne Verwirrung sorgen. Erst kürzlich entpuppte sich in einem Projekt die Unternehmensvision auf den zweiten Blick als technische Produktvision (also auf der Ebene der Produkt-Erzählung). Plötzlich war klar, warum sie von Mitarbeitern außerhalb der Produktentwicklung als nicht hilfreich empfunden wurde. In einem anderen Projekt klemmte die Strategievermittlung stets an einem langen Exkurs über Unternehmenswerte, der immer wieder neue interne Diskussionen auslöste. Erst die strikte Trennung beider Narrative in eine Kultur- und eine Strategie-Erzählung und die damit verbundene Fokussierung der Diskussionen auf unterschiedliche Ziele (Ausrichtung <>Stabilität) half diese Blockade aufzulösen.
So lässt sich der „Story-Kompass“ anwenden
Ich verstehe den Story-Kompass primär als ein Alignment-Tool für Führungskräfte. Der Kompass hilft, sich die Narrative bewusst zu machen, die die Stabilität und Ausrichtung des Unternehmens zentral beeinflussen. Die Arbeit entlang des Modells stellt sicher, dass alle Führungskräfte die gleichen Geschichten ins Team (und in die Öffentlichkeit) tragen.
Bei der ersten Anwendung gilt es zunächst, die fünf Narrative in einem kurzen Workshop zu visualisieren. Dazu fasst jede Führungskraft, jedes Narrativ aus dem Modell aus seiner Sicht heraus auf einem Post-it zusammen.
Dabei hilft folgendes Gedankenspiel: „Stell Dir vor: Du triffst eine neue Kollegin an der Kaffee-Maschine. Sie nimmt allen Mut zusammen und fragt Dich: „Was ist eigentlich [unsere Strategie, unser Purpose, unser Produkt]? Wofür steht unsere Marke? Und nach welchen Werten arbeiten wir eigentlich zusammen? Welche Geschichten, erzählst Du dann?“
Bei diesem ersten Mapping wird schnell klar, wie groß das Alignment und die Klarheit in der Führungsmannschaft bezüglich dieser Erzählungen ist. Manchmal werden direkt Leerstellen sichtbar. Oder einzelne Narrative erweisen sich, als schwerer zu erzählen oder als unklarer als zuvor gedacht.
Dann gibt es zwei Lösungsrichtungen: Entweder lässt sich das Erzählproblem sich auf der sprachlichen Ebene lösen: durch neue Formulierungen, ein alternatives Framing oder eine überarbeitete Argumentation. Oftmals sind Unklarheiten in den Erzählungen aber ein Indiz für ein tiefer liegendes, inhaltliches Problem. So wie Handlungslücken in einem Roman erst beim Lesen sichtbar werden, werden die Lücken in den Unternehmens-Narrativen erst beim Erzählen sichtbar. In beiden Fällen lässt sich das Problem mit dem Story-Kompass identifizieren und mit voller Klarheit angehen.
Nach dem ersten Workshop mit dem Story-Kompass empfehle ich, die Übung alle paar Monate zu wiederholen. So lässt sich schnell prüfen, ob sich die Erzählungen im Unternehmen verändern oder das Alignment im Leadership-Team bröckelt. Daneben gibt es spezifische Situationen, in denen der Story-Kompass besonders nützlich ist:
- In Strategie-Prozessen, wenn es darum geht, eine neue strategische Ausrichtung zu kommunizieren.
- Vor und während schneller Wachstumsphasen oder großen Transformationen, wenn sich die Erzählungen des Unternehmens grundsätzlich verändern.
- Wenn in der Führungsmannschaft oder im Team Unklarheiten und Abweichungen bei einzelnen Narrativen auffallen. Diese äußern sich gerne in komplizierten Präsentationen, unverständlichen Werbemitteln, langen Diskussionsschleifen oder auch schlicht in schlechter Stimmung.
Wenn Du mehr über den Story-Kompass erfahren willst – oder ihn in einer Websession ausprobieren möchtest, schreib mir gerne: hello@growthbystory.de
[Titelfoto: Ali Kazal on Unsplash]